Erstmals erzählt: Die Geschichte des Leipziger Literaturinstituts in der DDR
Beinahe vierzig Jahre lang, von 1955 bis 1993, war das „Institut für Literatur Johannes R. Becher“ in Leipzig die einzige Kunsthochschule in Deutschland, an der man Schriftstellerei lernen konnte. Mindestens zweimal wollte es die SED dichtmachen, weil es partout dem erklärten Ziel, „aus Studenten Parteidichter zu machen“, nicht zu folgen schien. Es war dann paradoxerweise die CDU-geführte sächsische Landesregierung, die den Schlussstrich zog, den sich die DDR-Spitzen nicht getraut hatten zu ziehen (1995 gab es den Neuanfang mit dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig). Ein Vierteljahrhundert später wurde der damals gefasste Vorsatz, die Geschichte der ersten Schriftstellerschule in Deutschland umfassend aufzuarbeiten, verwirklicht. Die Schriftsteller Isabelle Lehn, Sascha Macht und die Historikerin Katja Stopka haben sich durch Berge von Archivmaterial gewühlt und Zeitzeugen interviewt. Herausgekommen ist eine wichtige, erstaunlich lesbare 600-Seiten-Studie zur Literaturgeschichte der DDR, die mehr George Simenons Maxime „verstehen, nicht verurteilen“ folgt als Bourdieus mehrfach zitierter Theorie des literarischen Feldes.
Am Talent und an der Vorbildung scheiterten die forcierten Versuche der Anfangsjahre, schreibende Arbeiter und Bauern zu Schriftstellern zu machen. Später musste die Immatrikulation von begabten, aber renitenten Autoren gegen die Parteispitze verteidigt werden. Die Kadertochter Katja Lange-Müller war so ein Fall: Literatur als „etwas Gemachtes“ und Analysierbares zu behandeln war für sie wesentlicher Studiengewinn. Die meisten der 990 Absolventen wurden freilich keine „literarischen Meister“, wie die Gründer hofften, sondern Lektoren, Journalisten oder Propagandisten. Wichtige Autoren wie Sarah und Rainer Kirsch, Heinz Czechowski, Thomas Rosenlöcher oder Ralph Giordano, die oft als hervorragende Schüler des Instituts genannt werden, sind dort eher nicht „ausgebildet“ worden, sondern haben bestenfalls zusätzlichen Schliff (oder Abschliff) bekommen.
Parteischule oder Dichterschmiede – das Literaturinstitut war weder das eine noch das andere. Die programmatische Orientierung auf Sozialistischen Realismus kollidierte, sobald ernst genommen, mit der tristen Realität, und geschmiedet wurde eher dann gut, wenn gepichelt wurde. Anschaulich zeigt das die Studie über den charismatischen Poetik-Lehrer Georg Maurer, der nicht mehr vorgab als Beispiele und Offenheit für Neues; seine Wohnung bot er zur Aussprache. Die zermürbenden ideologischen Dauerkriege, die ZK-Beschlüsse über einzelne Buchveröffentlichungen, all dieser Nerven raubende Alltag wird mit historischem Abstand behandelt. Dabei ergibt sich aus der Analyse der meist unveröffentlichten Abschlussarbeiten sowie erstaunlich offener Selbstverständnistexte, dass das Literaturinstitut alles in allem – trotz der Stasispitzel – keine gar so schlechten ästhetischen Dienste geleistet hat.
Isabelle Lehn, Sascha Macht, Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“; Wallstein, Göttingen 2018; 600 Seiten
Dieser Artikel wurde, leicht revidiert, in der ZEIT Nr. 35 vom 22.8.2018 veröffentlicht. Das Leipziger Literaturinstitut interessiert mich seit 1990, als ich just im Oktober an einem „internationalen Sommerkurs“ dort teilnehmen und darüber in der ZEIT berichten durfte.