Dror Mishanis Kunststück DREI ist nur als Kriminalliteratur vollständig zu verstehen
Wem kannst du vertrauen, wem musst du vertrauen? Dror Mishani, israelischer Meister in der Kunst, Ermittlungen aus der Sicht der Opfer zu erzählen, hat jetzt mit Drei einen Roman vorgelegt, der jenes Grundvertrauen infrage stellt, das Voraussetzung eines einigermaßen menschlichen Zusammenlebens ist.
Zentraler Bestandteil dieser strategischen Vertrauenserschütterung ist Mishanis Spiel mit der angeblichen Vereinbarung zwischen Autor und Leser von Kriminalromanen, das gleiche Augenhöhe dank offener Präsentation der Indizien unterstellt.
Orna ist Lehrerin. Nach einer Scheidung versucht sie, wieder ins Leben zurückzufinden. In einem Dating-Portal für Geschiedene lernt sie den mittelalten Anwalt Gil kennen, einen zurückhaltenden, unaufdringlichen, nicht allzu attraktiven Mann, der sie für sich einzunehmen vermag. Sogar der Sex kommt ihr so vor, als ginge er von ihr aus. In seinen bisher drei Kriminalromanen, die um Inspektor Avi Avraham kreisen, hat Mishani feine Schilderungen der Ungewissheiten und Ängste des Alltags vorgelegt. So ist man jetzt nicht erstaunt, dass erst am Ende des ersten Drittels von Drei kurz etwas Verbrecherisches aufzuckt. Bis dahin ist man Ornas Sorgen einer alleinstehenden Mutter gebannt gefolgt und beinahe so versessen auf ein bisschen Lebensglück geworden wie sie. Doch da wechselt die Erzählung bereits zur zweiten Frau, einer aus Lettland immigrierten Altenpflegerin, die nach dem Tod ihres Pflegebefohlenen Probleme mit Aufenthaltsstatus und Lebenshalt bekommt. Wieder bietet Gil sich als Helfer an, samt leer stehender Single-Wohnung. Emilia reinigt sie, freiwillig, aus Dank. Auch die Sehnsüchte der dritten Frau nach Anerkennung – sie will als Intellektuelle verstanden werden, nicht nur als „Gebärende“ dreier Töchter – wecken Gils scheinbar unbegrenzte Hilfsbereitschaft.
Vertrauen ist in diesem raffinierten Gespinst gegenseitiger Abhängigkeiten die Grundwährung. Dass Vertrauen zu wecken auch zu den elementaren Tricks von Verführern und Betrügern gehört, dämmert dabei den Opfern erst spät – und deren Ahnungslosigkeit teilt der Leser sehr lange.
In Israel wurde Drei zum Bestseller, wohl deshalb, weil „weder das Cover noch die ersten 120 Seiten jene Leser abgeschreckt haben, die es nicht gewohnt sind, Krimis zu lesen“, so Mishani, „obwohl es sich um einen Kriminalroman handelt“. Gerade das macht Drei aber so zwingend: Weder die Opfer noch die Leser erhalten eine befriedigende Erklärung, warum und wieso das Verbrechen geschieht. Drei ist damit mitten im Glutkern von Kriminalliteratur angesiedelt; dieser Roman ist darüber hinaus eine große Verführung. Diesem Autor muss man trauen. Aber man darf nicht.
Dror Mishani: „Drei“.
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Diogenes Verlag, Zürich 2019, 336 Seiten
Dieser Beitrag ist in der ZEIT Nr. 38 vom 12.September 2019 erschienen und stand vier Monate lang auf der Krimibestenliste
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