Robert Hültner lässt Kajetan bei seinem sechsten Auftritt noch einmal kurz hoffen
Paul Kajetan, vor Jahren unehrenhaft entlassen als Inspektor der Kriminalpolizei, fasst wieder Mut. Die Nazis wirken angeschlagen, mangels Kasse mussten sie ihren Parteitag absagen, und auch in der völkisch verseuchten Münchner Polizeidirektion weht frischer Wind. Dr. Rosenauer empfängt den vormals „besten Ermittler“ mit offenen Armen. Kajetans winkt die Rehabilitierung, und zur Überbrückung schanzt der Kripochef seinem zukünftigen Spitzenmann einen Job als Detektiv beim berühmten jüdischen Anwalt Herzberg zu. So optimistisch eröffnet Robert Hültner den sechsten Band seiner langen Erzählung um den „sinnenfrohen Vernünftler und warmherzigen Utilitaristen“ Kajetan, den er seit zwanzig Jahren im Bayern der Weimarer Republik ermitteln lässt. Nur der Titel Am Ende des Tages und das Wissen der Leser über den tatsächlichen Ausgang der Geschichte nach diesem Hoffnung weckenden Jahr 1928 lassen Böses ahnen.
Allein, wie es dem Autor gelingt, die zarte Hoffnung auf einen guten Ausgang immer einleuchtender anwachsen zu lassen, ist ein erzählerisches Kunststück, das ihm nur wenige nachmachen dürften. Kajetan soll neue Beweise herbeischaffen, um einen seit zehn Jahren unschuldig wegen Mordes einsitzenden, im Knast beinahe zerbrechenden Bauern freizubekommen. Parallel taucht in den Chiemgauer Alpen ein zweiter Ermittler auf: Gustav Kull, vor Selbstbewusstsein platzender Preuße, einer der besten Privatdetektive seiner Zeit. Im Auftrag des Außenministers Stresemann soll er den Absturz eines Flugzeugs untersuchen, das geheime Hilfsgelder an einen Major Bischoff und seinen revanchistischen „Schutzbund für das Deutschtum im Ausland“* in Innsbruck transportieren sollte. Die Begegnung des Berliners mit den renitenten Gebirglern gerät Hültner zum Kabinettstückchen eines clash of civilisations.
Dialektischer und dialektstarker Skeptizismus
Wie ein Goldschmied der Barockzeit seine filigranen Jagdszenen ziseliert Hültner sprachliche Eigenheiten, regionalhistorische Details und faktischen Hintergrund seiner Kriminalromane, die als historische dem Vergleich mit Meistern wie Lion Feuchtwanger standhalten. Allerdings ist Hültners Perspektive weniger großbürgerlich und kolossalmoralisch.
In seinen Kajetanromanen brechen sich die großen Ereignisse der Weimarer Umbruchzeit – Räterepublik und Bürgerkrieg, Aufstieg der Nazis, Expressionismus und Lebensreform – am dialektischen und dialektstarken Skeptizismus der kleinen Leute. Geschickt verwebt Hültner aus mündlichen Erzählungen der Augenzeugen gewonnene Details mit präzise aus Staatsarchiven erschlossenen Fakten zur faszinierenden Kriminalerzählung.
Kulls politischen und Kajetans agrarischen Fall führt er leichthändig zusammen. Ein trauriger Tropf von mörderischem Handlanger und die Geldnot der Nazis zwingen die beiden ungleichen Detektive dorthin, wo die meisten Aufrechten damals stecken blieben, in einen aussichtslosen Kampf mit Hitlers Schlächtern. Eine derart gefinkelte, spannende, historisch genaue und tief im Regionalen verwurzelte Kriminalliteratur wie die Robert Hültners gibt es in Deutschland und in Europa nicht noch einmal.
* Die Eleganz, mit der Hültner historisch verbürgte Fakten in seine Krimifiktion wirkt, lässt sich an diesem Komplott verdeutlichen. „Major Bischoff“ und seine nationalistisch-interventionistische Truppe ist dem Mörder Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Waldemar Pabst nachempfunden, der sich nach 1955 in der BRD unbehelligt als Waffenhändler betätigen konnte und sich kurz vor seinem friedlichen Tod im „Spiegel“ noch als Patriot feiern ließ. Auch die Figur des Anwalts Herzberg hat ein Vorbild in dem berühmten Juristen Max Hirschberg.
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 19 vom 2.5.2013
Robert Hültner:
Am Ende des Tages
btb, 285 Seiten
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