in Mick Herrons REAL TIGERS zeigen es die lahmen Gäule denen da oben
Geheimdienstler, die aus dem Ruder gelaufen sind, Outlaws wider Willen, die Maulwürfe ausbuddeln – all das hat es in der Geschichte der Spionageliteratur schon gegeben. Aber so etwas wie das Slough House, das der Brite Mick Herron erfunden hat, noch nicht.
In diesem „Sumpfhaus“ oder Drecksloch hat der britische Geheimdienst aus niedrigen Beweggründen Agenten untergebracht, die er nicht mehr braucht, weil sie saufen, koksen oder anderweitig fehlerhaft sind. Sie sollen dort so lange sinnlos in Akten wühlen und Nonsens recherchieren, bis sie von sich aus kündigen und damit dem MI5 die Abfindung ersparen.
„Slow horses“ – lahme Gäule – werden sie von den „richtigen“ Agenten genannt. Doch sie selbst sehen sich nicht so. Eine große, gelungene Aktion – und man wird sie schon wieder in Ehren aufnehmen. Das ist ihr Traum. In „Real Tigers“, dem dritten Band der Serie, kommen sie dem ganz nahe.
Kein Schwein hat die „lahmen Gäule“ je ernst genommen. Das ändert sich, als Catherine Standish, trockene Alkoholikerin und Assistentin des Chefs des Slough House Jackson Lamb, entführt wird. Die Entführer wollen Catherine erst freilassen, wenn die „Gäule“ aus dem hoch gesicherten Archiv von MI5 eine Akte beschafft haben.
Was Entführer wie „Gäule“ nicht wissen: Sie sind bloß Marionetten in einem Spiel um die Macht im MI5 zwischen den beiden rivalisierenden Direktorinnen und dem neuen Innenminister, der Boris Johnson verdammt ähnlich sieht. Alle drei gehören zur Upper Class, alle drei spielen ohne Rücksicht auf Verluste. Wer vom Fußvolk dabei draufgeht, ist ihnen egal.
In „Real Tigers“ hält sich Mick Herron nicht mit den traditionellen MI5-Arbeitsfeldern Terrorismus oder Spionageabwehr auf. Der kalte Krieg ist vorbei, jetzt wird der Krieg im Innern des Apparats geführt.
Das britische Empire ist auf die Spielzeugfiguren abgehalfterter Geheimdienstler und auf bürokratische Planspielereien geschrumpft. Weshalb sich alle Intrigen, Gegenintrigen und Gewalttaten nur um den Besitz einer Politikerakte drehen. Folgerichtig findet der Showdown, blutig und brutal, aber eine Papierschlacht, im Archivkeller statt.
Herrons wunderbar frech lästernde Spy-Serie verhält sich zu John le Carrés moralischen Geheimdienst-Epen wie Monty Pythons „Das Leben des Brian“ zum Neuen Testament.
Ein Genuss, besonders für Freundinnen und Freunde des schwarzen britischen Humors.
Mick Herron: Real Tigers
Ein Fall für Jackson Lamb (3)
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Diogenes, Zürich 2020, 480 Seiten
Dieser Text wurde unter geleichem Titel am 11.12.20 von Deutschlandfunk Kultur gesendet. REAL TIGERS, der dritte Band der Serie um Jackson Lamb und das Slough House, stand erstmal auf der Krimibestenliste im Dezember 20. Herrons vertrackte Anlage der Serie verlangt stets vom Rezensenten, die stetig verschlechterte Lage im Sumpfloch darzustellen, weil noch zu wenige Leser mit ihr vertraut sind. Das geht zwangsläufig auf Kosten der wendungsreichen Handlung.