Zoë Becks hochaktueller Roman SCHWARZBLENDE kennt die Widersprüche des Kampfs gegen islamistischen Terror
Das ist kein Spiel mehr. Und „Unterhaltung“ noch weniger.
Die Szene, mit der Zoë Beck ihren Roman Schwarzblende eröffnet, könnte sich nicht nur, wie es oft heißt, in Wirklichkeit so abgespielt haben. Sie hat sich so zugetragen. Wer die Nerven dazu hat, kann auf YouTube einen der beiden Attentäter sehen, der im Mai 2013 den 25jährigen Soldaten Lee Rigby auf offener Straße in London mit einem Schlachterbeil tötete.
Zoë Beck wendet diese Realität ins noch schwerer Erträgliche. Wie gebannt, schwankend zwischen Fluchtreflex und voyeuristischer Faszination, filmt der junge Dokumentarfilmer Niall mit seinem Smartphone, wie zwei Männer in Jeans und TShirt einen anderen mit einer Machete niederschlagen, köpfen und dann die Flagge des IS in einer triumphierenden Geste hochhalten. Niall hatte nur nach Drehorten für seine Doku über den im Londoner Untergrund verschwundenen Fluss Effra gesucht. Jetzt wird er, ob er will oder nicht, Zeuge des Mordes und der Kriegserklärung der Mörder an die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind: „Wir befinden uns im Krieg gegen alle, die den Islamischen Staat nicht anerkennen.“
Rot gefärbt vom Blut ihres Opfers reklamieren die beiden ihre Identität als muslimische Gotteskrieger, als Farooq aus Palästina und Cemal, der Türke. Niall kann gerade noch – reflexhafte Reaktion – seinen Film in den sozialen Medien posten. Dann schießt die inzwischen eingetroffene Polizei die Attentäter nieder und nimmt auch den unschuldigen Zeugen Niall fest. Der muss erfahren, was eine Verhaftung unter den Bedingungen der Antiterrorgesetzgebung bedeutet. Prügel, Isolation, niemand hört dem blutbespritzen, „dreckigen Mörder“ zu.
Die Nachricht ist unausweichlich: So kann es jedem gehen. Eben warst du noch Zeuge, dann bist du Kollateralschaden. In seinem Kampf gegen den Terror zeigt der Staatsapparat sein Apparat-Gesicht. Ob dieser Kampf auch „unser Kampf“ ist, ist eine der Fragen, die Zoë Becks hart an der Realität segelnde Fiktion offen lässt. Im lakonischen, quasi dokumentarischen Ton, mit dem sie das Gemetzel im Park oder später einen Terroranschlag auf eine Synagoge fixiert, schwingt das nackte Entsetzen mit. Wie in den Fotografien von Nialls bewundertem, beneideten und gefürchteten Vater, dem berühmten Kriegsfotograf Leonard Huffman, atmet in Zoë Becks Prosa das nüchterne Pathos der Zeugenschaft. Niall, der unfreiwillige Augenzeuge und auf exotische Landschaften spezialisierte Dokumentarist, bekommt einen Auftrag, den er nicht ablehnen kann. Mit der abgehärteten Producerin Beth und der ebenso taffen Laura recherchiert er für eine TVDokumentation die Hinter und Beweggründe des Attentats: die Familienverhältnisse, die soziale Isolation, die Radikalisierung der beiden Mörder. Ihre (mögliche) Lenkung durch den britischen MI 5, die Machenschaften machtgieriger Upperclass-Politiker, die jeden und alles für ihre Karriere instrumentalisieren. Jede rasante Wendung der vor Spannung und scheinbar Unausdenklichem knisternden Handlung weckt Abwehrreflexe: Das kann nicht wahr sein! Doch, behauptet dieser skeptische, nachdenkliche Text Zoë Becks: Der Krieg gegen den Terror wird zum Bürgerkrieg werden, wenn es so weitergeht. Das ist Kriminalliteratur at its best: Radikal, zupackend, aktuell – unentbehrlich.
Zoë Beck: Schwarzblende
Heyne, 2015, 411 Seiten
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in Die Zeit Nr. 10 vom 05.03.2015; auf der KrimiZEIT-Bestenliste März bis Juni 2015