Gutmenschen, aufgemerkt: auch eine tätowierte, fluchende Säuferin kann eine von euch sein
Einen lange verlorenen (amerikanischen) Zwilling von Lisbeth Salander glaubt der irische Autor Declan Burke in Freedom Oliver zu erkennen. Damit reiht er sich in den Chor derer ein, die in der 28 Jahre jungen Debütantin Jax Miller , den kommenden Star der internationalen Krimi-Szene zu erkennen glauben. Ich nicht.
Ihr Erstling Freedom’s Child ist soeben erschienen. (Rowohlt folgt der Filmindustrie mit der Masche der amerikanischen Originaltitel). Freedom trinkt, ist tätowiert, lebt im Zeugenschutz an der Westküste der USA, weit weg von Mastic Beach, einem Kaff voller Krimineller und Sozialhilfeempfänger auf Long Island. Dort soll sie ihren Mann, einen Cop des NYPD, vor zwanzig Jahren getötet haben. Als Matthew Delaney, Bruder des Getöteten und an ihrer Stelle verurteilt, freigelassen wird, ist eine doppelte Jagd eröffnet. Unter dem Fern-Kommando ihrer koksenden 150 Kilo fetten Mutter (sie stirbt später beim Versuch, wieder ins Bett und an Nahrung zu gelangen, wie ein gestrandeter Wal – seltener schwarzer Humor in diesem zu Triefernst neigenden Rache-Wälzer) machen sich drei White-Trash-Brüder Delaney auf, um Schwägerin Freedom umzubringen. Die ist aber nicht mehr in Oregon, weil ihre seinerzeit zur Adoption freigegebene Tochter Rebekah aus der Ersatzfamilie verschwunden ist und von der Mutter gerettet werden muss. Wahnsinnsplot.
Die Parallele zur Lisbeth-Salander-Didaxe ist offensichtlich: Auch eine tätowierte, sexuell und habituell den Mittelstandsnormen nicht gehorchende Frau und Mörderin kann ein guter Mensch sein – wenn ihr genug haarsträubendes Unrecht von noch gröber die Mittelstandsnormen brechenden Übeltätern zugefügt wurde. Die Rollen, die in Stieg Larssons pseudofeministischem Eklektorat der russische Spion und Frauenmörder sowie sein deutsch-teutonischer Ziehsohn (die Namen hab ich vergessen, ihr kennt ja die Filme) spielen, übernehmen bei Miller gleich zwei Monstertrupps: die schauderhaft-ekligen Brutalo-Rednecks aus Mastic Beach (Fresser von Burgern und rotem Fleisch!) und die Selbstmördersekte in Kentucky, deren zum despotischen Propheten mutierter Chef und seine devote Frau Freedoms Kinder adoptiert und aufgezogen haben. Letztere quälen, ficken und morden ebenso sinnentleert wie die Ko-Monster vom antispirituellen Pol. Ihrer beider eingefleischte Bösartigkeit rechtfertigt allein schon Freedoms Rachefeldzug. Doch richtig herzergreifend wird der erst durch ihre verzweifelte, unerschütterliche Mutterliebe, die bereit ist über Leichen zu gehen, und sei es die eigene.
Was gottlob und dank der Autorin, die weiß, was sie ihrem Publikum keinesfalls zumuten darf, nicht eintrifft. Diese Masche kann nur gut enden: Am Schluß, nachdem alle Bösen tot sind, finden wir Freedom bei den Anonymen Alkoholikern wieder, seit neun Monaten (heilige Zahl!) nüchtern und hoch anständig gewordene Mutter einer neu konstituierten Patchwork-Familie, in der sich alle überlebenden Guten zusammengefunden haben. Ausgenommen das arme Kind, das nur 2 Minuten Mutterliebe genießen konnte. Und daher (wagen wir doch mal einen Sprung ins wabernde Unterbewußtsein) nicht lebensfähig sein konnte. Alle amerikanischen Eltern, die jetzt gerade wieder tränereich nach der Todesstrafe für die Mörder ihrer Kinder verlangen, werden frohlocken. Hat doch eine Autorin, die wie Marcus Müntefering berichtet, lange selber ihr Leben nicht in den Griff bekommen konnte, mit diesem Roman Flagge gezeigt: Putzt sie weg, die dämonischen Außenseiter, sie sind wahnsinnig wie der Sektenführer oder doof wie Brot. Jax Miller bedient durch Überzeichnung längst verfestigte Klischees.
Gegenwärtig kursieren mit Stieg Larssons Lisbeth Salander und mit dem Ehepaar Nick und Amy aus Gillian Flynns Gone Girl gleich zwei literarische Top-seller-Referenzen, die gegenwäritg eifrig geklont werden. Jedes Mal, wenn sie als Vorbild, Referenz oder Vergleichsobjekt zitiert werden, stellen sich bei mir die Haare auf: dringender Schaumschlägerverdacht.
Jax Miller: Freedom’s Child
Aus dem Englischen von Jan Schönherr
Rowohlt Polaris, 364 Seiten
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