Drei Reachers sind zuviel
Von Freunden, die Fußballfans sind, weiß ich, dass zum Fan-Schicksal irgendwann auch eine große Enttäuschung gehört. Der Verein ist abgestiegen oder der Star hat ihn verraten oder so was.
Was macht man aber als Autoren-Fan, wenn der Verehrte schwächelt?
Ich tröste mich erst einmal noch mit dem Gedanken, dass Lee Child einfach ein Formtief hat. Allerdings dauert das schon recht lange.
Es hat mit der Frauenfrage zu tun, genauer damit, dass der bisher nur en passant gebundene Reacher sich seit mehreren Bänden (ich meine die deutschen Ausgaben) auf einem romantischen Trip befindet.
Ihm hat es in 61 Stunden – damals im kalten South Dakota – die Stimme von Susan Turner angetan. Sie sitzt dort, wo er zuletzt als Major diente, auf dem Kommandeurssessel des 110. Special Unit der MP in Rock Creek bei Washington, D.C. Sie hat einen so starken Eindruck auf Reacher gemacht, dass er jetzt, in Die Gejagten, dort eintrudelt, um sie zum Essen einzuladen.
Nur ist sie nicht da. Sondern im Knast.
Und Reacher wird von zwei schlaffen Kerlen (es gibt vierzeilige Absätze, in denen das Wort „Kerl“ dreimal vorkommt) mit aufgefordert, abzuhauen. Reacher lässt sich das nicht gefallen und verbeult mit ihren Köpfen die Dienstlimousine. Kurz nach dem kleinen Zusammenstoß wird er auf dem Stützpunkt der MP wieder als Major reaktiviert, um anschließend förmlich zweier Vergehen angeklagt werden zu können. Vor sechzehn Jahren soll er im Dienst einen Waffendealer totgeprügelt haben. Und er soll Vater einer Tochter geworden sein, deren Mutter jetzt Unterhalt verlangt..
Reacher versteht: Die Beschuldigungen sind so absurd, dass er zur Flucht vor der Militärjustiz geradezu gezwungen werden soll. Schon deswegen – und weil immer eine Fifty/Fifty-Chance besteht – flieht Reacher nicht, holt die vermutlich unschuldige Susan Turner aus dem Knast, und damit sind sie Die Gejagten.
Die hochgechätzte Janet Maslin von der NYT wird auf dem Klappentext zitiert, dies sei Lee Childs „möglicherweise bestes Buch“. Irrtum, es ist – bis auf die wie immer intrikate Ausgangsidee – völlig uninspiriert. Mal abgesehen von dem militäraffinen Rapportstil, den Child und sein Übersetzer mit dem Charme einer Ikea-Anleitung exekutieren – im Unterschied zu vielen anderen Thrillern Childs: kein Hintersinn, kein abstruser Witz, keine Tempowechsel, keine verdrehten Situationen (ich erinnere mich noch an den wahnwitzigen Untergrund-Endkampf in 61 Stunden), kurz: nichts dahinter.
Never Go Back – den Rat seines englischen Titels hätte Child besser berücksichtigt. Stattdessen tritt Reacher verdreifacht auf: Susan Turner, mit der er flieht und ins Bett geht, ist als Figur dramaturgisch so wertvoll wie Pappmaché. Statt Reacher redet eben sie, aber sie sagt und denkt nichts anderes als er: langwierige Operationshypothesen werden abgerollt, rgelmäßig heißt es fifty/fifty… Und dann treffen die beiden auch noch auf ein Mädchen, das doch nicht Reachers Tochter ist, aber so aussieht wie seine Tochter und so redet wie er. Reacher mal drei ist unerträglich. Seine Gegner sind oft nur Staffage und Punch-Material, dass jetzt auch noch die Frauen um ihn herum Staffage sein sollen, geht mir restlos auf den Keks.
Am Ende (warum und wie es dazu kommt, hat seit Seite 70 nicht mehr interessiert) sitzt Reacher allein auf einer Bank und macht Pause. Ich auch. Hoffentlich geht Childs Formtief vorüber.
Lee Child: die Gejagten
Aus dem Englischen von Wulf Bergner
blanvalet, 448 Seiten
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