Robert Brack: UND DAS MEER GAB SEINE TOTEN WIEDER. Im Tod zweier Polizistinnen steckt ein spannendes Stück Sozialgeschichte und ein ungelöster Fall.
Auf dem Friedhof der nordfriesischen Insel Pellworm, der den namenlos gebliebenen Opfern des Meeres vorbehalten ist, befinden sich zwei Grabsteine. Sie sind nur mit einem Kreuz und der schlichten Datumsangabe „4.7.31“ gekennzeichnet. In diesen Gräbern liegen jedoch keine Namen- und Heimatlosen, sondern, wie der entsprechende handschriftliche Eintrag des Küsters vom 11. 7. 1931 ausweist, zwei Polizistinnen: Therese Dopfner und Maria Fischer, Mitglieder der Hamburger Weiblichen Kriminalpolizei. Ihr Tod erregte damals für ein paar Tage die Presse zu wilden Spekulationen.
Hatten sich die Beamtinnen selbst getötet? Wie? Erschossen, vergiftet, aneinander gefesselt ertrunken? Aufzuklären sind diese Gerüchte kaum noch. Es wurde regelwidrig keine Obduktion vorgenommen, und die Leichen, die einige Tage im Watt gelegen hatten, wurden hastig und anonym beerdigt. Knapp ein Jahr später, im März 1932, wurde der Tod der Polizistinnen in einem Disziplinarverfahren gegen ihre Chefin nochmals untersucht.
Regierungsrätin Josephine Erkens war eine der höchstrangigen deutschen Polizistinnen, als Vorkämpferin für den Aufbau weiblicher Polizeieinheiten international bekannt. In Hamburg bestand damals ein politisches Patt zwischen den regierenden Sozialdemokraten, die auch Innensenator und Polizeipräsident stellten, und den rechten wie linken republikfeindlichen Parteien.
In diesem Moment größter politischer Unsicherheit betritt eine junge britische Polizistin Hamburger Boden. Jennifer Stevenson will als Beauftragte der „International Police Women’s Association“ aufklären, welche Vorwürfe gegen die leitende Polizeibeamtin Erkens erhoben werden und warum die von ihr geleitete weibliche Polizeiabteilung geschlossen worden ist.
Jennifer Stevenson ist eine der wenigen, aber starken fiktiven Figuren in Robert Bracks Kriminalroman Und das Meer gab seine Toten wieder.
Der reale ominöse Fall der beiden toten Polizistinnen stachelte den Hamburger Autor zu eigenen akribischen Recherchen an. Mit dem Kunstgriff, diese Untersuchungen der Britin Stevenson, einer engagierten Fremden, zu übertragen, gelingt Brack ein literarischer wie historischer Coup. In schnörkellos knappem Stil verwickelt er seine junge Ermittlerin in die dramatischen Auseinandersetzungen der Zeit. Kunstvoll weckt er den Verdacht gegen Intriganten und Dunkelmänner in der Polizei. Dramatische Höhepunkte sind eine Verfolgungsjagd im Pellwormer Watt und eine Schießerei im heute nicht mehr existierenden Hamburger Gängeviertel. Die Krimihandlung schürt die Spannung, führt in plastisch geschilderte Milieus und entfernt sich trotzdem nirgendwo aus der sozialen, politischen und kriminalistischen Wirklichkeit jener Krisenzeit. Das I-Tüpfelchen in Bracks Kabinettstück: Er präsentiert eine überzeugende Lösung. Seine faktenstarke Fiktion erhellt ein Stück Polizei- und Frauengeschichte, das so noch niemand sah.
Robert Brack: Und das Meer gab seine Toten wieder
Edition Nautilus, 2008, 219 Seiten
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 31 vom 23.7.2008
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