Tom Hillenbrand geht die Phantasie nicht aus: in THANATOPIA geht es um Leben und Tod in mindestens drei Dimensionen
Kriminalliteratur verführt schon immer in fremde Welten, verlockt mit unbekannten Gebräuchen, operiert an der Grenze zwischen Leben und Tod. Tom Hillenbrand geht mit THANATOPIA noch zwei Schritte weiter: Da tapst nicht nur ein 75jähriger übergewichtiger Kommissar durch das irdische Wien des Jahres 2095. Zugleich tummeln sich in einer technisch avancierten Welt andere Figuren als Hologramme und besetzen beliebige fremde Körper. Damit nicht genug: Auf einer dritten Ebene hat eine äußerst fragwürdige Künstliche Intelligenz die Grenzen von Raum und Existenz ins Unermessliche gedehnt.
Um diese drei Welten von THANATOPIA erfassen zu können, muss man nicht ihre Vorgeschichte in den Romanen HOLOGRAMMATICA und QUBE gelesen haben. Ein kleines beigefügtes Lexikon hilft, sich in seinem Kosmos zurechtzufinden. Tom Hillenbrand ist ein genialer Erzähler. Die verwirrende Handlung macht er maximal anschaulich und verknüpft ihre Teile auch noch zu einem hochspannenden Kriminalroman.
Zum ersten sind da die beiden exakt identischen Frauenleichen aus der Donau. Deren Todesursache muss Kommissar Landauer aufklären. Doch handelt es sich bei ihnen überhaupt um Tote – oder nicht vielmehr um Kopien, um „Gefäße“, deren Gehirn als kleiner digitaler Würfel anderswo in einem anderen physischen Speichermedium steckt?
Daneben haben wir es noch mit der Sekte der Deather zu tun. Mit Hilfe gestohlener KI dringen diese Todessucher durch wiederholten Selbstmord in das Reich zwischen Sterben und endgültigem Tod vor.
Seit einem halben Jahrhundert wird nun schon der Einsatz von KI-Systemen extrem scharf kontrolliert. Denn um die Jahrhundertmitte hat sich eine Künstliche Intelligenz, genannt Aether, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz, von jeder menschlichen Kontrolle befreien können. Von den Grenzen der Milchstraße aus verfolgt Aether stur und erfindungsreich sein programmiertes Ziel: die Menschheit zu retten. Um den Preis, so sieht es aus, den größten Teil davon über die Klinge springen zu lassen.
Glauben Sie mir: Wie alle Science-Fiction ist „Thanatopia“ nicht ganz einfach.
Wenn Sie Hillenbrand folgen, werden Sie bis an die Grenze Ihres eigenen Vorstellungsvermögens unterhalten.
Und Sie beginnen sich zu fragen: Ist ein ewiges Leben wünschenswert? Und was sind wir bereit, dafür zu zahlen?
Dieser Text ist das Manuskript zu meinem Radiobeitrag, gesendet am 9.5.2025 von Deutschlandfunk Kultur in der Lesart. THANATOPIA stand auf der #Krimibestenliste Mai auf Platz 5.
Tom Hillenbrand: Thanatopia
Kiepenheuer & Witsch, 380 Seiten
Nadine meint
Ich bin ja fassungslos über diese gute Bewertung.
Ich habe Band 1 geliebt, Band 2 fand ich schon weniger stark, aber dieser dritte Band war für mich eine einzige Enttäuschung. Für mich las sich das, wie ein lieblos hingezimmertes Buch, das immer noch von der starken Grundidee lebte…. Ein bisschen wie ein altes Grandhotel, dem man anmerkt, dass es mal ganz große Zeiten hatte, die aber lange lange vorbei sind.
Sollte ein Band 4 kommen, bin ich nicht mehr dabei.
Tobias Gohlis meint
Hallo, da bin ich anderer Meinung. Leider haben sie keine Argumente vorgebracht, so dass wir nicht diskutieren können. Aber immerhin: Grandhotel…
Tobias Gohlis