Max Annas’ Roman über den Mord an einem afrikanischen Vertragsarbeiter in der DDR
Morduntersuchungskommission – so nüchtern wie der Titel von Max Annas’ fünftem Kriminalroman ist sein Inhalt. Gefahrloses Schaudern, verzwickte Rätsel – nichts von dem, was Leser gemeinhin vom Krimi erwarten, wird geboten. Stattdessen routinierte Ermittlungen, schlichter DDR-Alltag, Bezirk Gera, 1983. Zwei Brüder, einer Polizist, einer Offizier der Staatssicherheit, gucken gemeinsam Fußball, rücken sonntags bei den Eltern zum Familienessen ein, alles in Ordnung. Man riecht die Erbsensuppe und sieht ihren beschwichtigenden Dampf über dem Wohnzimmertisch aufsteigen.
So ordentlich, so sozialistisch in ihrem Gang ermitteln auch die Männer der Morduntersuchungskommission. Oberleutnant Otto Castorp – nicht Hans, wie Thomas Manns Zeitgenosse im Zauberberg – ist einer von ihnen. Vater dreier Kinder, eine Geliebte, Schnaps und Kino fürs Vergessen. Fast nichts unterscheidet Otto von seinen Kollegen. Nur dass er den Gesellschaftsvertrag der DDR als individuelle Verpflichtung versteht: „Die Leute haben ein Anrecht auf Sicherheit, deshalb geben wir ihnen Arbeit. Aber sie haben auch ein Anrecht auf diese andere Art von Sicherheit. Deshalb müssen sie wissen, dass wir einen Mord sehr, sehr schnell aufklären wollen und auch können. Das ist eines unserer Versprechen an sie.“
Als am Bahndamm zwischen Jena und Saalfeld der zerschmetterte Torso eines Afrikaners und später an anderer Stelle sein Kopf gefunden wird, als die Obduktion erweist, dass der Tote nicht zufällig unter die Bahn geraten ist, sondern von jemandem aus dem fahrenden Zug gehalten worden sein muss, um ihn zu töten, bröckelt das Versprechen. Nur Otto hält sich daran, ermittelt auf eigene Faust. Er wird zum Einzelgänger, und damit zum potenziell Verdächtigen, als er auch dann nicht aufgibt, als der Mord als Arbeitsunfall ad acta gelegt wird. Der Familie des Toten und dem mosambikanischen Brudervolk darf nicht offenbar werden, dass die beschworene Völkerfreundschaft so fatal endete.
Max Annas hat dieses Buch Manuel Diogo gewidmet, einem Vertragsarbeiter aus Mosambik, der 1986 bei Bad Belzig auf ähnliche Weise getötet wurde und dessen Fall bis heute ungelöst ist. Im Unterschied zu seinen früheren Romanen stellt Annas in Morduntersuchungskommission keine Figur bereit, mit deren Leid und Kampf sich die Leser identifizieren können. Stattdessen verfolgen wir Schritt für Schritt mit, wie Zeitgenosse Castorp einer damals wie heute verleugneten Wahrheit näher kommt: dass es in der DDR und der Bundesrepublik miteinander kooperierende mörderische Nazis gab. Castorps Biederkeit zerbricht daran.
Dieser Artikel ist in der ZEIT Nr. 34 am 15.8.2019 erschienen.
Max Annas: Morduntersuchungskommission
Rowohlt, Hamburg 2019; 346 Seiten
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