Liza Cody hat eine der stärksten Frauen der Kriminalliteratur erfunden
Eva Wylie ist stark, so stark, wie viele Frauen gerne wären. Wenn die Catcherin zum Ring runterstampft, brüllen die Kerle, „Du Tier!“ und die Frauen: „Potthässliche Schlampe!“ Wenn sie dann den Ringrichter über die Seile gepfeffert und ihre Gegnerin per Piledriver „mit dem Kopf unangespitzt in den Boden“ gerammt hat, wenn sie von allen Seiten mit Trinkbechern, Hotdogs und Handtaschen eingedeckt wird, dann ist Eva die „Killerqueen von London“ und für einen Augenblick glücklich.
Eva Wylie ist eine der faszinierendsten Heldinnen der jüngeren Kriminalliteratur. In dem inneren Emanzipationsdiskurs über das Bild der starken Frau markiert sie einen Extremfall. Agatha Christies Miss Marple oder Dorothy Sayers Harriet Vane waren physisch schwach, sexuell passiv, durch und durch ermittelnder Verstand. Die Standardheldin von heute darf schon mal eine Affäre haben, „ohne sich anschließend umbringen zu müssen oder als Verbrecherin dazustehen.“ (Sara Paretsky). Sie hat es, längst in der männlichen Berufswelt zu etwas gebracht und verdient als Private Eye, Gerichtsmedizinerin oder Detective Sergeant ihre Brötchen. Und im Fernsehen, nicht der Realität, ist die Frauenquote übererfüllt: Da schießen, prügeln und sensibeln die Schönen und Klugen serienweise im Doppelpack. Eva Wylie ist hässlich, stark und keineswegs sehr helle.
Aus der Perspektive des Underdogs
Eva Wylie betrachtet die Mittelstandswelt der Kommissarinnen aus der schlichten Perspektive des Underdogs. Das sind Bullen, und denen sagt sie freiwillig nicht einmal ihren Namen. Ihr Überlebensrezept in den Londoner Slums lautet: Unabhängigkeit und Härte. Sie hat etwas aus sich gemacht. Denkt sie. Als Kind wurde sie unter die Treppe gesperrt, wenn die Suffköppe zu ihrer Mutter kamen. Jetzt ist sie groß und autark. „Ich bin eine Selfmadefrau.“
Probleme mit Männern? „Ich kann überhaupt keinen Menschen leiden.“ Tagsüber schläft und trainiert sie, nachts bewacht sie mit zwei Kampfhunden als „Armour Protection“ den Schrottplatz, auf dem ihr Wohnwagen steht. Auf Elektrizität verzichtet sie aus dem gleichen Grund wie auf den Führerschein: Behördenkontakte bedrohen die Unabhängigkeit. Mit Menschen redet sie so gut wie nie, nur mit sich, ihren Hunden – und uns Lesern: “ Ich bin ein freier Mensch. Hand aufs Herz, kannst du das auch von dir behaupten?“
Selbstgespräch einer leidenschaftlichen Seele
Eine mitreißende, wunderbare Illusion, in die uns Evas Erfinderin Liza Cody hineinzieht. Dank ihrer genialen Beherrschung der Ich-Perspektive sind wir mitgefangen in den Selbstgesprächen dieser leidenschaftlichen Seele, teilen ihre überbordende Hoffnung auf Ruhm und Unabhängigkeit und wissen, dass sie jeden Moment kollabieren wird. Denn schon der kleinste Menschenkontakt löst bei Eva unkontrollierbare Eruptionen aus. Die Analphabetin verfügt nur über eine Sprache, in der sie sich perfekt ausdrücken kann: die Körpersprache. Und virtuos beherrscht sie die auch nur im Hexenkessel der Catcherhalle.
Ihre einzige Schwäche ist ihre Gutmütigkeit. Eva: „Ich hab vielleicht ein weiches Herz, aber noch lange keine weiche Birne.“ Leider doch. Da muss sie nur einer bitten, bei einem Rausschmeißerjob auszuhelfen. Schon fliegt ihr ein Nachtklub um die Ohren, und sie muss sich mitten zwischen den Fronten eines Bandenkriegs ihrer Haut wehren. Prostituierte hasst sie. Schließlich hat Ma sie schlimmer behandelt als ein Tier. Doch kaum bittet Jugendfreundin Crystal sie darum, den Mörder ihrer Schwester zu finden, gerät sie bis zum Hals in ein unüberschaubares Chaos aus Bordellbetrieb, wüsten Vergewaltigern und machistischen Catch-Intrigen (Eva sieht rot). Hier geht es weder um feinsinnige Kombinationen noch um Frauensolidarität. Sondern ums pure Überleben. Von Roman zu Roman: milieugenau, witzig, dank überzeugender Eva-Perspektive ungemein spannend von Liza Cody erzählt und von Regina Rawlinson bravourös übersetzt.
Liza Cody: Was sie nicht umbringt
Eva sieht rot
Aus dem Englischen von Regina Rawlinson
Ariadne im Argumentverlag
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 12 vom 15.3.2001
Schreibe einen Kommentar