Friedrich Ani im Gespräch über Polonius Fischer & Kollegen
GOHLIS: Im Roman Idylle der Hyänen nimmt in der Münchner Burgstraße ein ganzes Zwölfer-Team die Arbeit auf. Was sind das für Leute?
ANI: Es sind 12 — also elf Kommissare und Kommissarinnen und eine Assistentin. Die Assistentin ist auch Protokollantin, was extrem wichtig ist, weil sie sämtliche Vernehmungen mittippt und natürlich das Vertrauen aller genießt. Sie werden die „zwölf Apostel“ genannt, eine Floskel, die im ganzen Präsidium herumgeht. Denn eines Tages kam der Polizeipräsident in das Büro, und die 12 waren gerade beim Essen. Es gibt dort einen langen Tisch, an dem sie sich immer treffen, und Polonius Fischer hat aus seiner Zeit als Mönch eine Angewohnheit mitgebracht, die er dann merkwürdigerweise auch im Polizeialltag beibehalten hat: Während gegessen wird, liest er eine Textstelle aus einem Roman oder aus einem philosophischen Werk vor. Er liest ruhig im Hintergrund, während die anderen einfach schweigend essen. Und da kam dieser Präsident vorbei und dachte, er traue seinen Augen nicht, und hat dann überall erzählt, er hätte eine Vision gehabt: Er hätte die zwölf Apostel gesehen.
Das Büro ist in diesem Haus in der Burgstraße, seit es im Präsidium mal gebrannt hat und die Mordkommission ausgelagert werden musste. Sie wurden damals in zwei Stockwerke eines leerstehenden Hauses versetzt, natürlich mit der Absicht, sie da wieder herauszuholen, aber das klappte dann nicht. Also sind sie geblieben und haben sozusagen ihr eigenes Präsidium, ihre eigene Arbeitsstelle.
Es gibt einen Chef und Untergebene, die aber alle gleichwertig arbeiten, und ich möchte, dass man beim Lesen mit jedem mitgehen kann. Wenn ich noch weitere Romane mit Polonius Fischer schreibe — was ich fest vorhabe -, dann kann es immer mal einen geben, der vielleicht wichtiger ist als der andere, wobei aber Polonius Fischer natürlich die Hauptfigur bleibt. Er ist es, der die Ermittlungen vorantreibt, er ist der Verantwortliche für die jeweiligen Fälle, und sein Blick auf die Ereignisse und auf die Verbrechen ist durch seine eigene Vergangenheit natürlich ein sehr spezieller, ein sehr persönlicher.
Polonius Fischer ist ein Mann, der in jungen Jahren schon einmal Polizist war, dann ins Kloster ging und dort feststellte, dass auch das ihm nichts nutzen konnte. Er musste also doch etwas anderes machen, er musste doch in die Welt zurück, und er hat sich dann im Mittleren Dienst bei der Polizei beworben und wurde Hauptkommissar bei der Mordkommission.
Und er hat noch zwei, drei andere Eigenarten. Er ist derjenige, der die Sache vorantreibt, und er ist der eigentliche Sympathieträger, der, um den alles kreist. Und übrigens ist er auch endlich mal ein Kommissar, der ein relativ glückliches Privatleben hat! Er ist zwar nicht verheiratet, aber … Na ja.
GOHLIS: Ein äußerst merkwürdiger Mensch, dieser Polonius Fischer, aber auch schon Tabor Süden war nicht ohne Kanten und Ecken. Was haben die beiden gemeinsam, was trennt sie voneinander?
ANI: Die Größe, natürlich … Polonius Fischer ist ein sehr großer Mann. Vor allem aber unterscheidet die beiden, dass Polonius Fischer vollkommen in der Gegenwart lebt; er ist einer, der — anders als Tabor Süden — weder Melancholiker ist noch eigentlich ein Verzweifelter, einer, der eine Schleppe an Verzweiflung hinter sich herzieht.
Er ist jemand, der die Menschen und die Dinge, die passieren, manchmal mit einem enorm kalten Blick betrachtet. Durch seine Vergangenheit hat er ein sehr cooles Verhältnis zu Gott. Er weiß, dass es ihn gibt, und er weiß, dass es unmöglich ist, ohne Gottesvorstellung zu leben. Aber er weiß auch, dass das in seinem Beruf oft irrelevant ist, weil das, was passiert, nicht mit solchen Worten zu beschreiben ist, nicht mit solchen Worten zu lösen ist. Doch er versucht es trotzdem, weil er anders damit nicht umgehen kann und will. Also ist er in gewisser Weise ein Solitär unter seinen Kollegen, und von allen Figuren, die ich bisher erfunden habe, ist er mit Sicherheit der Stärkste, der Kraftvollste.
GOHLIS: Das ist er, weil er an Gott glaubt und sozusagen mit Gott lebt, als Christ lebt?
ANI: Auf jeden Fall lebt er als Christ. Er hat, glaube ich, ein sehr gesundes Verhältnis zur katholischen Kirche, der er angehört, aber er würde sich, glaube ich, in einem Gespräch sehr stark unterscheiden von Menschen, die diese Kirche ernster nehmen. Er hat da einen sehr eigenen Blick auf dieses Vereinsleben, es interessiert ihn weniger. Was ihn beschäftigt, ist eine ganz andere Frage: Wie es überhaupt möglich ist, jemandem umzubringen? Das hat er immer noch nicht begriffen. Natürlich, im Affekt und so weiter, das kann passieren, trotzdem, trotzdem: Dass in dem letzten Moment nichts einrastet, dass es da kein Stopp gibt, das beschäftigt ihn, das beschäftigt ihn sehr. Gleichwohl hat er eine sehr seltsame Einstellung zum Selbstmord. Im Buch geht ja zum Großteil auch um Selbstmord, und dazu hat er eine offene, seltsam offene Einstellung.
Idylle der Hyänen.
Zsolnay, Wien 2006, 350 Seiten
Das Gespräch wurde am 26.3.2006 in München geführt
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