Die Krimibestenliste im März: fünf Neue aus vier Ländern
Vorbemerkung an meinen treuen Leserinnen und Leser: Aus gesundheitlichen Gründen erscheint mein Beitrag mit der Krimibestenliste März einige Tage verspätet. Bitte um Entschuldiginung.
Angesichts des Großverbrechens Angriffskrieg, das Putin begeht, möchte man über Krimis schweigen.
Daher nur knapp ein paar Bemerkungen zu den neuen Titeln:
DER MANN, DER ZWEIMAL STARB von Richard Osman spielt im Titel launig auf einen James-Bond-Film an. Und ein Geheimdienstler, geklaute Diamanten für 20 Mio. in der Tasche, versteckt sich vor seinen mafiösen Verfolgern in einer Seniorenresidenz für Betuchte, in der seine Ex-Gattin und EX-Geheimdienstlerin mit anderen Senioren zum Zeitvertreib ein Mordermittlerkränzchen betreibt. Als elegant geschriebene Komödie á la Arsen und Spitzenhäubchen, auf Insta-Zeiten aktualisiert, geht das auf der Hälfte der 440 Seiten als unterhaltsam durch. Für Nachwuchsspannungsautoren als Studienobjekt zu Themen wie Plotten, red herrings, Figurensetting gut geeignet.
SECHZEHN PFERDE des Schotten Greg Buchanan ist der Kracher, aus meiner Sicht in diesem Jahr an Raffinesse, Verzweiflung, Kunstfertigkeit und Tiefgründigkeit kaum schlagbar. Buchanan, der schon Videospiele und Computergames entwickelt hat, verschränkt die assoziativen, fragmentarischen Verfahren dieser Gattungen mit dem linearen Erzählen Seite um Seite zu ungeheuer Dichte. Ganz großartiges Debüt. Zweimal lesen!
DER HOLLÄNDER von Mathijs Deen besticht durch das Setting. Bergsteiger- und U-Boot-Thriller, Wüsten-Krimis und Dschungel-Crime gibt es zuhauf, aber einen Krimis über Extrem-Wattwanderer meines Wissens noch nicht. Extrem-Wattwanderer tasten sich mit langen Stöcken durch die nach jeder Flut veränderten Wattgebiete, um zwischen Festland und Inseln oder Inseln und Inseln lange Strecken zurückzulegen. Das Trio Klaus, Peter, Aron gehört zu den Spitzensportlern. Seit Jahren warten sie auf die Ebb- und Windlage, die ihnen ermöglicht, den „Everest“ ihrer Branche zu machen, die Querung nach Borkum. Als sich die 12-Stunden-Chance bietet, ist Aron in England und kann nicht, die beiden anderen wagen es, einer wird tot auf einer Sandbank gefunden. Auf Nachfrage hat mir Mathijs Deen ein Foto von solchen Watt-Extremisten geschickt, das zeigt, wie sie Hochwasser überstehen, ohne den Wattboden zu verlassen. Sie errichten Hängematten auf Bambusstangen, in denen sie die Flut abwarten.
UND ES KOMMT EIN NEUER WINTER könnte die metaphorische Umschreibung der gegenwärtigen Kriegssituation sein, ist aber der Titel des jüngsten Romans von Massimo Carlotto und eine Bauernweisheit in einem Dorf in Norditalien am Rande der Dolomiten. Carlotto, aus Padua stammend, erforscht erzählerisch die Kriminalität des reichen Nordens, deckt ihre Strukturen auf. Im Dorfroman UND ES KOMMT EIN NEUER WINTER werden die Ausschließungsmechanismen gezeigt, mit denen ein ganzes Bergtal Fremde, in diesem Fall einen wohlhabenden eingeheirateten Städter, vertreibt – Xenophobie im Dienst der lokalen herrschenden Familien, wie verrottet sie auch sein mögen. Das erinnert an die Werke eines der größten italienischen Schriftstellers, Leonardo Sciascia, der die Gesetze des Schweigen seiner sizilianischen Heimat analytisch dargestellt hat.
MEIN LEBEN ALS SERIENMÖRDER von Josef Kleindienst führt nicht, wie man vermuten könnte, ins Milieu der Serienmörder, sondern an Leibe und Seele des Schriftstellers und Schauspielers Konrad Mola vor, wie der Topos „Serienmörder“ sich zum Monster auswächst. Mola fühlt sich, nachdem er in einem Film diese Rolle gespielt hat, wie ein Serienmörder und gerät bei einer Sauferei in die Nähe einer Prostituierten, die in dieser Nacht ermordet wurde. Dadurch wird er Opfer des medialen Zirkus, ohne sich erinnern zu können, was er getan hat.
Die Krimibestenliste März ist seit Freitag, dem 4. März, bei Deutschlandfunk Kultur online und kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Außerdem finden Sie die aktuelle Krimibestenliste im CrimeMag. Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, sondern auch die Veränderungen und oft auch einzelne Bücher engagiert kommentiert. Und bereits am Freitag morgen hat Sonja Hartl bei Deutschlandfunk Kultur DER MANN, DER ZWEIMAL STARB als höchsten Neueinstieg besprochen.
Regina Nössler meint
Lieber Tobias Gohlis, dies ist kein Kommentar zu Greg Buchanan und „Sechzehn Pferde“, sondern ein ganz allgemeiner. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren einleitenden Satz („Großverbrechen Angriffskrieg“). Es fällt gerade auch schwer, Krimis zu schreiben. Herzliche Grüße
Tobias Gohlis meint
Liebe Regina Nössler,
ja, da haben Sie Recht, leider.