John le Carré hat in der Trilogie über George Smiley dem britischen Geheimdienst gezeigt, wie er es hätte besser machen können.
Kim Philby? Donald Maclean? Guy Burgess? Vermutlich kennen heute nur noch Spezialisten für Geheimdienstgeschichte und Kalten Krieg diese Namen, doch in abgewandelter und fiktional konzentrierter Gestalt sind sie längst Bestandteil unseres kollektiven Bewusstseins: Als „Maulwürfe“ – britisch-sowjetische Doppelagenten – wie Bill Haydon in Dame, König, As, Spion sind sie in John le Carrés Romanen und den darauf basierenden Verfilmungen unsterblich geworden. Und seine legendäre, fiktive Erzählung über George Smileys Suche nach diesen Maulwürfen im britischen Geheimdienst hat die reale Geschichte inzwischen so überschrieben, dass ihre Ursprünge sich im Dunkeln zu verlieren beginnen..
Die „Cambridge Five“
Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts kippte das bis dahin elitär-konservative Klima in Cambridge. Hungernde Arbeiter demonstrierten, aus Deutschland kehrten junge Wissenschaftler zurück und berichteten von Naziterror und Antisemitismus. Marxismus und Antifaschismus waren in, und in einer Atmosphäre von Aufbruch und (homo)sexueller Libertinage wechselten fünf junge Männer das Lager, nicht aber die Ambitionen. Auserwählt fühlten sie sich immer noch, nur wollten sie nicht mehr an die Spitze des britischen Empires, sondern an die Spitze der geheimen Armee, die gegen Nazis und Reaktion kämpfte: Sie verpflichteten sich, für den sowjetischen Geheimdienst zu spionieren, zunächst gegen Franco und Hitler. Dass sie später gegen ihr eigenes Land arbeiten sollten, scheint im Zuge des Systemkonflikts zwischen Kapitalismus und sowjetischem Sozialismus fast zwangsläufig. Es waren aber ihre eigene Entscheidung und die sich bietende Gelegenheit, die die „Cambridge Five“ schnell in Spitzenpositionen des britischen Geheimdienstes brachten. Der KGB nannte sie später „die glorreichen Fünf“: Anthony Blunt (1907-1983), Guy Burgess (1911-1963); Harold „Kim“ Philby (1912-1988), Donald Maclean (1913-1983) und John Cairncross (1913-1995).
Dass an der Spitze des britischen Geheimdienstes und des Außenministeriums sowjetische Spione saßen, wurde erstmals offenbar, als Burgess und Maclean 1951 fluchtartig hinter dem Eisernen Vorhang verschwanden. Philby, der im Auslandsgeheimdienst SIS vom Chef der Sowjetabteilung zum Kontaktmann der CIA in Washington aufgestiegen war, wurde als Freund der beiden Flüchtigen verdächtigt und schied aus dem SIS aus, wurde aber von Außenminister Harold Macmillan 1955 rehabilitiert. Cairncross gestand, den Sowjets in geringem Umfang Material geliefert zu haben, und verschwand ins Ausland. Blunt hatte sich bereits 1945 zurückgezogen und spionierte nur noch in Teilzeit für die Sowjets, während er als einer der führenden Kunsthistoriker der Zeit unter anderem die Gemäldegalerie der Queen beriet.
Das Unterbewusstsein seines Landes
„Die Welt der Geheimdienste, wie ich sie beschrieb, hat nie existiert“, reklamierte John le Carré, als er 1986 offenbarte, dass er – bürgerlich David Cornwell – tatsächlich deren gewesen war. Da war er bereits der weltberühmte Autor, der sich dagegen verwahren musste, dass sein düsteres Bild der Geheimdienste für die Wirklichkeit genommen wurde.
Sein Motiv, in „die geheime Welt“ zu gehen, wie er sie bis heute nennt, war eine Mischung aus Abenteuerlust und Erkenntnisdrang: „Ich wollte in die Tiefen des Unterbewusstseins meines Landes tauchen.“ Selbst wenn diese Sicht des Geheimdienstes eine nachträgliche literarische Verdichtung sein sollte, hat John le Carré sie durch sein Werk beglaubigt.
„The Quest for Karla“
Nun ist es aber ein Wesensmerkmal der Spionageliteratur, dass sie – wenngleich nur Fiktion – die einzige öffentliche Form des Diskurses über die Geheimdienstwelt ist. Geheimhaltung ist das Wesen der Spionage und ihre Krankheit zugleich. Deshalb kann man der fiktionalen Spionageliteratur keine tatsächliche Wahrheit gegenüberstellen.
In gewisser Weise funktioniert Spionageliteratur wie Science-Fiction: Sie muss eine Erzählung und eine Welt schaffen, die plausibel erscheint. Nicht mehr und nicht weniger.
Bei John le Carré geschieht dies auf terminologischer Ebene durch konsequente Verwendung eines eigenen „Geheimdienstjargons„. Der Begriff KGB fällt bei ihm gar nicht, das ist die „Moskauer Zentrale“. Der dem Außenministerium in Whitehall unterstehende britische Auslandsgeheimdienst MI 6 bzw. Secret Intelligence Service (SIS) heißt „Circus“. Der Inlandsgeheimdienst MI 5 bzw. Secret Service ist schlicht „die Konkurrenz“. Unser Bild vom Geheimdienst überhaupt und speziell vom britischen während des Kalten Krieges ist so sehr durch John le Carrés Romane bestimmt, dass sogar große Teile des restlichen von ihm erfundenen Jargons inzwischen in die Sprache der realen Geheimagenten eingezogen sind.
Der entscheidende Kniff John le Carrés ist der alte Trick der Personalisierung. Sein dicklicher, geradezu gegen alle modischen Identifikationsangebote konstruierter Held George Smiley führt in den drei Teilen der Trilogie, für die sich der Begriff „The Quest for Karla“ eingebürgert hat, einen einsamen Kampf gegen übermächtige Gegner. Eine raunende Erzählerstimme, die sich als Chronist und retrospektiver Analytiker der Geschehnisse im Circus ausgibt, zeichnet seinen einsamen Kampf gegen Karla nach. Karla ist der Deckname eines geheimnisumwobenen Mannes in Moskau: ein „alter Fuchs, der listigste, der verschwiegenste in der Zentrale“, der den Westen mit seiner „geheimen Armee“ unterwandert. All die zahllosen Intrigen und Winkelzüge, falschen Botschaften und ausgelegten Fallen des Circus zielen nur auf eins: Karla zu fassen.
Smiley hat drei Versuche – wie im Märchen. Und wie im Märchen muss Smiley etliche Niederlagen einstecken und sich immer wieder aufrappeln, bis er seinen „schwarzen Gral“ finden und den Erzfeind stellen kann.
Karla ist Gegenspieler George Smileys, seit dieser ihn 1955 in einem indischen Gefängnis dazu bewegen wollte, zu den Briten überzulaufen. Smiley, damals noch ein mittlerer Beamter beim MI 6, konfrontierte ihn mit der Aussicht, bei einer der laufenden Stalinschen Säuberungsaktionen liquidiert zu werden, und bot ihm Freiheit und Wohlstand gegen Verrat. (Das Datum 1955 wählte John le Carré aus Kongruenzgründen; zu dieser Zeit hat es keine Säuberungsaktionen in der UdSSR mehr gegeben.)
Karla – so wird die Legende in allen drei Bänden aufgegriffen – erlag Smileys Verführungskünsten in Delhi nicht, ja er nahm, obwohl Kettenraucher, nicht einmal eine Zigarette an. Wohl aber ließ er das goldene Feuerzeug mitgehen, das Smiley von seiner untreuen Frau Ann geschenkt bekommen hatte. Dieses Feuerzeug wird zum Symbol für individuellen wie systematischen Verrat: Ann wurde später durch einen infamen Schachzug Karlas die Geliebte des Geheimdienstkollegen und Verräters Bill Haydon, eine Diversionsmaßnahme gegen Smiley, den besten und gefährlichsten Mann des Circus. Und Karla wird dasselbe Feuerzeug als Zeichen der Kapitulation auf das Pflaster West-Berlins fallen lassen, wenn alles zu Ende ist.
Eins: „Dame, König, As, Spion“
Doch das ist schon der erschöpfte Ausklang einer der großartigsten Spionageerzählungen, die die Literaturgeschichte kennt. Sie setzt ein mit Dame, König, As, Spion, der Geschichte vom ersten Versuch, Karlas Macht zu konterkarieren. Der Roman erschien 1974 und spielt in den beiden Vorjahren. Darin wird George Smiley, der ehemalige zweite Mann des Circus, aus dem Ruhestand geholt. Im geheimen Auftrag des Außenministeriums soll er neuen Spuren nachgehen, die auf die Existenz eines Maulwurfs in der Führung des Geheimdienstes verweisen. Smileys Chef und Förderer Control hatte 1972 einen Agenten in die Tschechoslowakei geschickt, um dort Hinweise auf den Mann Moskaus im Circus zu erlangen. Nur ein Wort sollte der Geheimagent zurückbringen: den Namen des Verräters in der Gruppe von fünf Spitzenleuten, die Control als verdächtig eingekreist hatte. Die tschechische Aktion entpuppt sich als Falle Karlas, der Agent wird angeschossen und gefangen genommen. Control, vorher schon schwer erkrankt, stirbt, den Kronprinzen Smiley schasst man. Die vier übrigen Verdächtigen lenken jetzt den Geheimdienst. Doch Smiley entlarvt mithilfe einer aufwendigen Rekonstruktion der tschechischen Aktion und einer raffinierten Falle den Verräter Bill Haydon und dessen sowjetischen Führungsoffizier in London und wird neuer Interimschef des Circus. Der Sieg über Karlas besten Mann Haydon aber ist für Smiley ein Verlust in doppelter Hinsicht: Er begreift, dass Karla mit Haydons Hilfe seine Ehe mutwillig zerstört hat, und er gilt im Circus ab sofort erst recht als Paria, weil ihm niemand verzeiht, dass er die Schwächen des Systems aufgedeckt hat.
Dame, König, As, Spion ist der Teil der Trilogie, der am ehesten reale Geschichte zum Hintergrund hat: die Suche nach den „Cambridge Five“ und weiteren Spionen, die von 1951 bis circa 1990 dauerte.
Zwei: „Eine Art Held“
Smileys zweiter Versuch, an Karla heranzukommen, scheitert. Im 1977 erschienenen Roman Eine Art Held leitet er eine Geheimoperation in Hongkong, Thailand und Vietnam mit dem Ziel, den Bruder eines chinesischen Magnaten in den Westen zu locken. Diesem Nelson Ko ist es gelungen, in die Führungsriege des sowjetischen Geheimdienstes aufzusteigen. Smiley erhofft sich von ihm Druckmittel gegen Karla. Zwar gelingt es ihm, Nelsons habhaft zu werden. Aber der jungenhafte Agent Jerry Westerby, nach dem der Roman im Original „The Honourable Schoolboy“ benannt ist, fällt im „friendly fire“ der eigenen Leute, die zu Handlangern der amerikanischen CIA degradiert worden sind. Smiley muss Ko den amerikanischen „Vettern“ überlassen und verliert seinen Chefposten. Der US-freundliche Saul Enderby wird Geheimdienstchef.
Dieses (schwächere) Mittelstück der Trilogie reflektiert Aufstieg und Krise der amerikanischen Supermacht, in deren Schatten das britische Empire zur Bedeutungslosigkeit schmilzt. Es ist ein Abgesang auf die überholten traditionellen Pfadfinder- und Abenteurer-Methoden des britischen Geheimdienstes vor der Kulisse der letzten Kriegszuckungen 1974/75 in Südostasien und der bevorstehenden Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China.
Drei: „Agent in eigener Sache“
Im vorliegenden dritten Band Agent in eigener Sache, veröffentlicht 1979, kehrt die Handlung auf den europäischen Schauplatz, nämlich in die Schweiz und nach Hamburg zurück. In der Schweiz hatte der Teenager David Cornwell von 1948 bis 1950 Germanistik studiert und erste Geheimdiensterfahrungen gesammelt. In Hamburg war er von 1962 bis 1964 Vizekonsul und Mann des MI 6. Zu diesem Zeitpunkt benutzte der junge Autor nach dem Reglement des Foreign Office bereits das unbritisch-europäische Pseudonym „John le Carré“.
Wieder wird Smiley aus dem Ruhestand geholt. Der Mord an einem ehemaligen estnischen General, den er früher geführt hatte, verlangt Aufräumarbeiten. Mit untrüglichem Spürsinn und dem inzwischen einzigartig gewordenen Wissen des alten Geheimdienstmannes, der die „Moskauer Regeln“ noch kennt, stößt Smiley auf eine dünne Spur zum Erzfeind. Nur sehr notdürftig durch seinen Auftrag gedeckt, reaktiviert er alte Kontakte – darunter den einstigen Adlatus Peter Guillam und die schwer von Alkohol und Krankheit gezeichnete Russlandexpertin Connie Sachs -, um Karla eine Falle zu stellen. Smiley leistet beste Kalter-Krieg-Geheimdienstarbeit. Dazu ist der Circus nicht mehr imstande. Unter Enderby ist er endgültig zum Befehlsempfänger der Amerikaner geworden. Ein albernes Kontrollgremium, „Die Weisen“ genannt, laviert in einer Atmosphäre, die von diplomatischen und innenpolitischen Ränkespielen bestimmt ist und nicht von den praktischen Erfordernissen der geheimen Arbeit.
Kurz bevor er Karla schnappt, empfindet Smiley aller Dekadenz der Institution und des Empires zum Trotz einen Moment lang Genugtuung. „Allein gelassen, ja, sogar behindert von denen, die seine Dienste erneut gefordert hatten, hatte er sich durchgekämpft bis zu dem Punkt, wo er ehrlich sagen konnte, daß das letzte entscheidende Schloß gesprengt sei. Er war ein betagter Mann, und doch hatte er nie bessere Arbeit geleistet; zum erstenmal in seiner beruflichen Laufbahn lag er in Führung vor seinem alten Gegenspieler.“ Doch als er dann den Feind, 23 Jahre nach jener ersten Begegnung in Delhi, tatsächlich in Berlin, der „Welthauptstadt des Kalten Krieges“, über die Brücke zwischen den Systemen kommen sieht, befällt den siegreichen Geheimdienstmann und Liebhaber der deutschen Barockliteratur ein grundstürzendes Bewusstsein der Vergeblichkeit, der Vanitas. Smiley: „Ich habe ihn mit den Waffen zerstört, die ich verabscheute, mit den seinen. Wir haben einer des anderen Grenze überschritten, wir sind Niemande in diesem Niemandsland.“
Leider gab es Smiley nicht
„Niemande im Niemandsland“ – John le Carrés Werk ist gekennzeichnet von einer grundlegenden Absage an den Wahn der geheimen Kriegsführung im Dienst der Ideologien und singt das Lob der Humanität ex negativo. Und doch kann die „Quest for Karla“ auch wesentlich pragmatischer gelesen werden: als Erzählung, die die Suche nach den letzten Maulwürfen am Kochen halten will. Denn John le Carré ist nicht nur ein großartiger Schriftsteller, sondern eben auch ein (ehemaliger) Geheimdienstmann.
Rückblickend beschreibt David Cornwell die Stimmung bei seiner Anstellung 1959 im Foreign Office und wohl bald danach beim Inlandsgeheimdienst MI 5 folgendermaßen: „Es ist eine Ironie, (…) daß ich, der das Unmögliche suchte, genau zu dem Zeitpunkt in den Geheimdienst eintrat, als die Gemeinde praktisch bis zur Handlungsunfähigkeit von Selbstzweifeln zerrüttet war. (…) Die Schwesterfirma MI 6 lag noch immer auf der Psychiatercouch und versuchte sich einzugestehen, worauf MI 5 und auch andere Freunde schon seit langem hingewiesen hatten: daß Kim Philby, einst designierter Erbe des Chefsessels, seit eh und je ein russischer Spion war.“
Wie lange die interne Neurose der Geheimdienste währte, entzieht sich unserer Kenntnis. Öffentlich wurde sie 1967, als ein Team von investigativen Reporten der „Sunday Times“ zusammenhängend über die „Cambridge Five“ berichtete und nach vier Jahren offiziellen Verschweigens und Vertuschens eine Publikationsschlacht auslöste. Zu ihrem Buch Philby – Der Spion, der seine Generation verriet schrieb John le Carré ein von unterdrücktem Zorn durchsetztes Vorwort. Darin verwies er auf den Schatten, der Jahre später zur Figur Karla wurde. In dieser Erzählung fehle, so le Carré, „sogar noch der Hauptakteur. In den Lebensläufen von Burgess, Maclean und Philby nehmen wir seine Hand, seinen Einfluß, seinen Schatten wahr, aber nicht ein einziges Mal sehen wir sein Gesicht oder hören wir bewußt seinen Namen: es ist der sowjetische Anwerber. (…) Er hat uns besser gekannt, als wir uns selbst kannten: war er ein Landsmann von uns? (…) Wenn es ihn tatsächlich gibt, spaziert er heute womöglich durch die Straßen Londons.“
Diese Frage war auch noch sechs Jahre später virulent, als John le Carré seine fiktive Version der Geschehnisse in Dame, König, As, Spion entwarf. Darin verschiebt der enttäuschte Moralist die Daten und Fakten der großen Spionageaffären um die „Cambridge Five“: So ist es nur ein Maulwurf, den Smiley jagt, nicht wie in Wirklichkeit derer mindestens fünf. Und selbst wenn Bill Haydon im Roman erkennbar Züge des „Meisterspions“ Harold Adrian Russell Philby trägt, sind diese Merkmale verwischt. Um nur einige zu nennen: Haydon studiert in Oxford, Philby war in Cambrige; Haydon ist rechts, Philby war offener Labour-Anhänger, bis er verdeckter Kommunist wurde. Philby brach Anfang der dreißiger Jahre mit Labour, weil die Partei vor dem Faschismus einknickte, Haydon konvertiert nach der schmählichen Niederlage des britischen Imperialismus in der Sueskrise 1956. Haydon ist bisexuell, Philby war hetero. Haydon ist im Geheimen sowjetischer Staatsbürger, Philby wurde es erst Jahre nach seiner Flucht. Und nicht zuletzt: Bill Haydon ereilt der Tod. Ob er selbst es war, sein verratener Studienfreund Jim Prideaux oder ein Sowjetagent, der den Verräter richtete, lässt John le Carré im Ungewissen. Kim Philby hingegen erfreute sich in der UdSSR von 1963 bis zu seinem Tode 25 Jahre später höchster Wertschätzung und enormer Privilegien.
Die wirkungsmächtigste Verschiebung betrifft den Helden der Aufklärung selbst: Es gab keinen Smiley, der Philby und Co. jagte. Stattdessen erfolgte eine verworrene Suche, in der Zufallsfunde von chiffrierten Mitteilungen der sowjetischen Botschaft oder die Versetzung einer Russlandspezialistin (das mögliche Vorbild für Connie Sachs) eine größere Rolle spielten. Diese Suche zog sich über Jahre hin und ist in Details noch immer nicht abgeschlossen. Entscheidend für die Enttarnung und definitive Überführung der „Cambridge Five“ waren jedoch nicht die Ermittlungen von MI 5 und MI 6, sondern die freiwilligen Aussagen sowjetischer Überläufer. Diese wurden aber erst Mitte und Ende der neunziger Jahre bekannt. So kam der Cambridge-Professor und Geheimdiensthistoriker Christopher Andrew zu dem Resümee: „Erst jetzt wurde dem Secret Service klar, dass eines der größten Probleme der Spionageabwehr, das die Behörde mehr als zwei Jahrzehnte lang beschäftigt hatte, bereits im Jahre 1964 gelöst worden war.“
Vergegenwärtigen wir uns die reale Lage: Als John le Carré 1974 seine Geschichte von der Enttarnung des sowjetischen Maulwurfs Haydon schrieb, gab es wahrscheinlich keinen KGB-Agenten mehr in MI 5 und MI 6. Aber gesucht wurde weiter nach ihnen, da die Aussagen und Geständnisse, die Philby 1963 vor seiner Flucht und die Blunt und Cairncross im Jahr darauf gemacht hatten, nicht nur geheim gehalten wurden, sondern auch unzuverlässig waren und nicht überprüft werden konnten. Verschärft wurde die komplexe Gemengelage von geheimer Maulwurfsuche und öffentlichen Vertuschungsversuchen durch das immer noch herrschende Klassenvorurteil, das der mit Philby persönlich bekannte Korrespondent Robert Lucas in der ZEIT vom 20.10.1967 so charakterisierte: „Old Philby’s boy? Oh, he must be O.K.“ Zudem herrschte ein hysterisches Klima, in dem Verschwörungstheorien nur so blühten. Es war nicht nur der Secret-Service-Mann Peter Wright – er erzielte später mit seinem Buch Spycatcher Millionenauflagen –, der den Chef des MI 5, Sir Roger Hollis, und sogar den Labour-Premier Harold Wilson verdächtigte, Sowjetspione zu sein.
Deshalb kann man sehr wohl eine aufklärerische Absicht darin vermuten, dass Ex-Geheimdienstler John le Carré seine fiktive „Quest for Karla“ in die unmittelbare Gegenwart der Jahre 1972 bis 1978 verlegte. Lag es in dieser merkwürdigen Situation zwischen Wissen und Nichtwissen nicht nahe, sich fiktiv auf die Suche nach einem Maulwurf zu machen? Damit konnte zugleich die verbreitete Furcht vor einem weiteren Spion fokussiert und dem hysterischen Geheimdienst in Gestalt des unbestechlichen, scharfsinnigen, altmodisch soliden Smiley der Spiegel vorgehalten werden: So müsste man es machen! So hätte man es machen sollen!
Damit enthält der letzte Satz Smileys in Agent in eigener Sache eine merkwürdige Ambivalenz. Neben der erschöpften Resignation scheint auch ein Quäntchen Triumph mitzuklingen: „›George, Sie haben gewonnen‹‘, sagte Guillam, als sie langsam zum Wagen gingen. ›Wirklich?‹ sagte Smiley. ›Ja. Ja, es sieht wohl so aus.‹“
Dieser Text ist das Nachwort zu John le Carré: Agent in eigener Sache, das in der Politthriller-Edition des ZEIT-Verlages im Frühjahr 2012 erschienen ist.
John le Carré bat vor Veröffentlichung um Einsicht in das Manuskript, wohl nicht aus Eitelkeit, sondern aus Rücksicht auf den Geheimhaltungscodex, dem er sich verpflichtet fühlte. David Cornwell schrieb mir – wie immer per Hand – über meinen Text: „(…) I was greatly impressed by its quality – not because it was kind to my work, but because it set out the period & context so well, and understood what Iwas trying to do in the middle of it. (…)“