James Ellroys JENER STURM verliert sich Totalitarismusfantasien und lähmendem Wortgeklapper
Salvador Dalí wurde bis in seine mittleren Jahre bewundert als Querkopf, Exzentriker und Erfinder einer neuen Bildsprache des Unbewussten. Zum internationalen Star avanciert, blamierte er sich mit zunehmend lächerlichen Inszenierungen. Mit der Bizarrerie seiner Selbstinszenierung wuchs sein Ruhm – umgekehrt proportional zur Originalität seiner Produktion.
James Ellroy, Querkopf, Exzentriker und Erfinder eines neuen Stils von Kriminalliteratur scheint eine ähnliche Entwicklung zu nehmen. Die Phase der zunehmend lächerlichen Inszenierungen – als heulender Wolf etwa – scheint er zwar, nunmehr 72 Jahre alt, hinter sich zu haben. Aber Ellroy ist ja auch kein Dalí, selbst wenn sein Verlag, den „Spiegel“ zitierend, den Kalifornier, der persönliche Besessenheit zur literarischen Form gemacht hat, als „schreibendes Genie“ bezeichnet. Nun ja, es ist nicht unbedingt ein Kennzeichen von wirklicher Genialität, sich als genial zu deklarieren, auch in einem Land nicht, das von stabilen Genies nur so wimmelt.
JENER STURM heißt der jetzt auf Deutsch erschienene zweite Band des so deklarierten Zweiten L.A.-Quartetts, in dem Ellroy seine Geburtsstadt Los Angeles von Beginn des Kriegseintritts der USA in den zweiten Weltkrieg 1941 an in 1000-seitigen Privatfantasien ausmalt. Geschichtsbücher sind weder der erste Band PERFIDIA (2014/2015), noch der chronologisch anschließende zweite, der den Zeitraum von Silvester 1941 bis Mai 1942 umfasst. Besaß PERFIDIA mit der gescheiterten Landung eines japanischen U-Boots an kalifornischen Stränden und der drohenden Internierung aller in den USA lebenden Japaner und von dort stammenden US-Bürger – bei Ellroy unterschiedslos „Japsen“ – in Gefangenenlagern noch gewisse Bezüge zur historischen Realität, dreht Ellroy in JENER STURM völlig frei.
Ellroys Ziel ist nicht, Geschichte nachzuzeichnen, sondern die Intensität seiner Kindheitserlebnisse heraufzubeschwören, als er während der Scheidungsphase seiner Eltern sich an der Lektüre von comics und Magazinen berauschte. „I want to transport readers back in time and make them live history as intensely as I live it and as intensely as I put it on the page. I want to give readers the gift that was first given to me as a young boy discovering the world, and that gift was the past. [..]When I was living with my parents, before they divorced when I was seven years of age, they had a big closet that was filled with stacks of Life magazines and I remember looking at the pictures.“
Im Gespräch über PERFIDIA verriet er mir 2015: „Als Kinder waren wir besessen von Nazischeiß. Wir zeichneten Panzer, Hakenkreuze und Stukas. Auch die jüdischen Jungs, mit denen ich zur Schule ging. Ich war überzeugt, wir wären immer noch im Krieg.“
Das titelgebende, von Ellroy kompilierte Auden-Zitat „This storm, the savage disaster“ legt er dem jüdischen Kommunisten Meyer Gelb in den Mund, der sich nach tausend Windungen und Hinweisen späterhin als Nazi entpuppt. In seiner reflektierten und respektvollen Rezension fragt sich der australische Blogger Peter Strempel, ob die Langeweile, die von den verworrenen Handlungen, Intrigen und Fantastereien in DIESER STURM ausgeht, mit der Stille im Auge des Hurrikans zu vergleichen sei – immerhin sollen noch zwei Bände folgen.
Ich bezweifle das, denn Ellroy hat sich von all dem, was ihn stark gemacht hat, weit entfernt.
Sein Maniak-Stil läuft leer und schäumt nur noch vor sich hin, weil die Verbindung zu Zeitgeist und Zeitgeschehen, so verschwörungsbesessen oder wahnhaft sie im ersten L.A.Quartett oder der USA-Underground-Trilogy immer gewesen sein mag, abgerissen ist.
Im Zentrum des Sturms steht eine Verschwörung vorgeblich besonders weitsichtiger deutscher, japanischer und mexikanischer Kommunisten, die zugleich Nazis sind, die irgendwie (chronologisch nur schwer möglich) mit einem Seminar an der TH Dresden in den Zwanzigern, einem Goldraub in Kalifornien und einem Brand im Griffith-Park 1932 verwoben ist. Die Verschwörung soll dem Überleben des totalitären Gedankens als Regime nach dem Krieg dienen. Diesen zentralen Wahn-Focus nicht zu sehen, und sich auf die bizarre Kriminalhandlung in Los Angeles mitsamt ihrer Deus-ex-machina-Lösung zu kaprizieren, geht an Ellroys völlig selbstdrehender Abgedrehtheit vorbei: Leerlauf statt Sturm, Wort-Geklapper statt Rap, plumpe Obszönität statt Witz.
Ellroys Nihilismus ist eine müde Schlange, die an ihrem eigenen Schwanz knabbert. Ich lese Ellroy nicht mehr.
Der Regen, mit dem JENER STURM einsetzt, erinnert mich an Dalís Apotheose in Figueras: Ein glänzender schwarzer Cadillac, in den seit zig Jahren künstlich herbeigepumptes Wasser trieft.
James Ellroy: Jener Sturm
Aus dem Englischen von Stephen Tree
Ullstein, 976 Seiten