„Hör auf!“ ist das letzte Wort im Buch. Pure Leserprovokation. Dieser Stephen Dobyns weiß, dass – der Ankündigung zum Trotz, alles werde bald enden – niemand aufhören will, weiterzulesen, und doch ist Schluss. Das Fest der Schlangen ist ein Erzählfest, festlich übersetzt von Rainer Schmidt.
„Es war wie in einem Science-Fiction-Film, wenn die Untertassen landen.“ Brewster, irgendwo am Rande der Sümpfe zwischen Providence, West Kingston, Narragansett und dem Atlantik gelegen, im Herbst. Ein Baby des Teufels wird aus dem Krankenhaus gestohlen, die Plazenta aus der Kühlkiste gleich mit. Ein Junge lässt mit Augenkraft Murmeln tanzen, sein Name ist Hercel, was von Herkules kommt, verkleinert. Je näher Halloween rückt, das von den Wiccanern und den Kelten als Samhain, als Fest der Toten gefeiert wird, desto höher die Wogen von Gewalt, Unerklärlichem und Panik. Kaum haben die Detectives der State Police begriffen, dass das Baby weg ist, müssen sie auch nach planvoll räubernden Kojoten, Steine werfenden Staatsbürgern, verschwundenen Leichen, abgehauenen Siebzehnjährigen und einem kleinen dicken Jungen suchen, der alle mit Furzmaschinen nervt. Und Carl, der Veteran, kriecht knurrend auf allen Vieren durch die Büsche. Ein Versicherungsdetektiv wird skalpiert. So viele Vorgänge, so viele Interpreten, Legenden wachsen aus Backstuben, Schlangen krabbeln aus Kinderbetten.
Dobyns reißt alle in seinen Erzählstrom: Lügen, Wunder, Märchen, so sehr, dass fast bis zum Ende der Überblick völlig verloren geht: Gibt es eigentlich diese Morde, verschwundenen Lebenden und Toten, oder was ist überhaupt los? Dahinter kleine böse Pläne, halbtote Opfer, zugerichtet auf’s Töten. So lässig und so gekonnt jagt Dobyns alle Details durch Schleuder und Trocknertrommel, dass zum Schluss die Fakten aussehen wie gebügelte Wäsche. Und immer heiter: Jill und Woody sind sich näher gekommen. „So ist bei der ganzen Katastrophe auch Gutes herausgekommen.“ Schreibt Dobyns ohne rot zu werden.
Der deutsche Titel ist schön rätselhaft, der Englische verrät ein wenig, worum es geht: „The Burn Palace“. Was Schmidt mit „Ofenpalast“ übersetzt. Vernunft, könnte man ins Sinnieren kommen, tritt erst dann ein, wenn sie verloren war. Aber: ist das nicht zu viel sinniert?
Oder man kann nach der Frau suchen, die Dobyns so beschreibt: „Sie war eine attraktive Frau von der nahtlosen Sorte und sah aus, als wäre sie aus standardisierten Einzelteilen zusammengesetzt, als ob Haare, Make-up, Hände, Füße und der aerodynamisch modellierte Körper die Nacht in separaten Schachteln verbrächten, statt zusammen in einem Bett.“ Los denn.
Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen (The Burn Palace)
Deutsch von Rainer Schmidt; C.Bertelsmann; 544 Seiten