Arne Dahls TOTENMESSE: ein Kampf um die Weltformel
Arne Dahl ist ein Autor, der mit vielen Wassern der literarischen Moderne gewaschen ist. Unter seinem bürgerlichen Namen Jan Arnald war der promovierte Literaturwissenschaftler jahrelang Angestellter der Schwedischen Akademie (die u.a. die Literaturnobelpreise vergibt) und redigierte in ihrem Auftrag eine avantgardistische Kulturzeitschrift von hoher Bedeutung und geringer Auflage.
Als nach Veröffentlichung seines fünften Buches, ROSENROT, 2003 das Pseudonym Arne Dahl aufgedeckt wurde, formulierte er in einem Essay seine Doppelsicht von sich und der Kriminalliteratur: „Wenn Arne Dahl – über das Schreiben von spannenden Krimis hinaus – einen Ehrgeiz hat, dann ist es wohl dieser: zu versuchen, so viel wie möglich von der ‚richtigen Literatur‘ in der Krimistruktur unterzubringen. All das Unentschiedene und Unaufgelöste in eine Struktur hineinzuzwingen, die sich dem widersetzt. Nicht an der Struktur rütteln, aber an allem anderen.“
Wie ein Kommentar zur Finanzkrise
Dieses Konzept hat uns Lesern einige aufregende, verweisungsreiche Kriminalromane beschert, die man sogar zum zweiten Mal lesen kann. Aber mit dem sechsten, UNGESCHOREN, auch einen Problem-Knochen von prekärer und paradoxer Moral, einen Krimi, der so viel „Unaufgelöstes“ und Unauflösbares enthält, dass beim Grübeln Spannung und Vergnügen manchmal verloren gingen.
Umso klarer, erfrischender und spannender – darum nicht weniger Arne Dahl – nun TOTENMESSE (Das Original Dödsmässa spielt 2003 und erschien 2004). Es beginnt wie ein Kommentar zur aktuellen Finanzkrise mit einem Bankraub: Geiseln werden genommen, darunter die Ex-Frau von Ex-A-Gruppler Paul Hjelm, die Bankräuber werden trickreich verhaftet. Doch das eigentliche Ziel der perfekt, das heißt mit scheinbaren Pannen, geplanten Aktion muss in etwas anderem gelegen haben als dem Erwerb von ein paar Miillionen Scheinen.
Spiel mit der Weltformel
An dieser Stelle (am Ende des ersten Drittels) darf nicht mehr verraten werden: Wie immer erweist sich die A-Gruppe, die „Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichskriminalpolizei“ als ultraclever und stößt schließlich auf eine Geschichte aus der Geschichte, die der Leser – ohne den Gesamtzusammenhang erkennen zu können – dank paralleler Erzählung bereits kennt: Ein russischer und ein deutscher Soldat, beide Physiker, haben 1942 verschüttet in einem Keller in Stalingrad eine Formel gefunden, mit der schon der Zweite Weltkrieg hätte verhindert werden können. Literarisch amüsant ist Dahls Spiel mit der Weltformel, die alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme lösen könnte: utopische Science Fiction, Spy novel. Traurig ist die Wirklichkeit, die wir aber schon kennen: wir wüssten es, wäre die Formel, um die es geht, je real angewendet worden.
Durst nach Rache
So bewegen sich Leser und Ermittler in einer epischen Metaphernwelt: Der Kampf wird um die Herrschaft über die begrenzten fossilen Brennstoffe geführt. Fossilien sind die Geheimdienstler, die ihn an vorderster Front betreiben, sowieso: zum einen als Geheimdienstler, zum anderen sind sie ausgemustert. Und drittens kann man sich natürlich fragen, wie fossil das System selbst ist, das geschützt werden soll und wie fossil der Durst nach Rache, der den Täter antreibt.
Doch das sind Fragen, die sich möglicherweise auch erst beim zweiten Lesen stellen.
Arne Dahl: Totenmesse
Aus dem Schwedischen von Wolgang Butt
Piper, 402 Seiten
Veröffentlicht auf arte.tv Der Krimi des Monats 07.04.2009