In Uta-Maria Heims „Wespennest“ wird wild gesprochen und gestochen
Das kennt man: „Ich sag nichts, nein.“ Zeugen, die die Aussage verweigern. Doch dass einer gleich ein Schlägle kriegt, weil er partout sowieso nicht mit der Polizei spricht, und mit einem Sulgemer schon gar nicht – „Es ist nie nichts Gutes, was vom Sulgen rüberkommt“ – das kann nur so ein Sturkopf aus Mariabronn hinkriegen, einer wie der rote Karle. 86 ist Karl Roth, Kleinfamilienunternehmer im Ruhestand, Zulieferer für Haushaltgeräte, Kommunist seit dem Krieg und Haustyrann im Schwarzwald.
Dass es Leute wie diesen roten Karle gibt, möchte man hoffen, kann man sich vorstellen. Ich denke da nur an die Winzer und Fischer von Wyhl, die mit Sturheit und Solidarität mal ein Kernkraftwerk verhindert haben, dreißig Jahre ist das her. Andererseits kann man nicht glauben, dass es den roten Karle gibt, hat doch die Autorin ihrem Kriminalroman ein Motto von Markus Werner vorangestellt: „Seid wachsam! Hütet Euch vor der Verbrüderung mit der Realität!“ Nein, weder Verbrüderung mit der Realität noch gar ihre Verhübschung, wie sie im sogenannten Regionalkrimi landauf landab gängig ist, kann man Uta-Maria Heim nachsagen. Ihr Roman Wespennest ist so systematisch wild, wuchernd und stechlustig wie der Titel ankündigt.
Gewagt – und gewonnen
Die 1963 in Schramberg im Schwarzwald (in der Nähe des fiktiven Mariabronn) geborene Autorin hat etwas Seltenes gewagt – und gewonnen: In Wespennest schreibt sie ihren ersten, 1991 veröffentlichten und gleich mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Krimi Das Rattenprinzip fort. Das ist natürlich nur möglich, weil sie schon damals mehr auf Zeitumstände (Mauerfall und Einheit) und Folgen (Sieg des Rattenprinzips über den Kommunismus) Wert legte als auf das kriminalistische Aufdröseln loser Fäden.
Jetzt, 18 Jahre später, sind aus den Babys von 1990 schwarzbestrumpfte attac-Aktivistinnen geworden, die Baden-Baden durcheinanderbringen. Und aus V-Leuten Leichen. Als solche liegt der Ex-Kommissar und Ex-Spitzel „Ossi“ Oswald ausgestreckt wie weiland Andreas Baader justament vor dessen Grab auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof. Die Waffe, mit der er erschossen wurde, stammt aus dem Keller des roten Karle. Späte Rache am Verräter? Alter und Schlägle sprechen dagegen. Und Sohn Heiner, der mit ihr im Schützenverein schoss, ist nach Mexiko emigriert. So konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Schwester und ihren Mann, den Chefredakteur des Stuttgarter Tagblatts, der vor 18 Jahren noch nicht allmächtig, sondern Gerichtsreporter war.
Was heißt hier Ermittlungen? Die SoKo Friedhof steckt mittendrin im Wirrwarr der Kontingenz, den die in achtzehn Jahren und mehr als 30 Veröffentlichungen gereifte Autorin arrangiert hat. Sprachkundig bis in die letzte Dialektverästelung, menschenkundig, geschichtsbewusst und tratschlustig – mit allen Mitteln der Kunst täuscht Uta-Maria Heim Provinz an. Um unverbrüdert vom Chaos Leben zu erzählen. Heim, nicht Heimat lautet die Devise!
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 15 vom 2.4.2009
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