ALFRED BODENHEIMER setzt seinen Rabbi zwischen alle Stühle. Das macht aber noch keinen Detektiv aus ihm.
Der israelische Lektor und Autor Dror Mishani behauptet, es könne keine israelischen Kriminalromane geben. Das ist – Batya Gur, Shulamit Lapid, er selbst und etliche andere Autoren belegen das Gegenteil – blühender Unsinn. Trotzdem fiel mir seine Begründung wieder ein, als ich jetzt einen anderen, nicht israelischen, aber im jüdischen Milieu spielenden Roman las.
Alfred Bodenheimer, Ordinarius für Jüdische Studien an der Universität Basel, wollte einmal ein Buch schreiben, das von vielen Menschen gelesen wird, nicht nur von wenigen spezialisierten Wissenschaftlern. Da lag der Krimi auf der Hand.
In seinem Debüt KAINS OPFER versetzt Bodenheimer seine Leser nach Zürich, wo Rabbi Gabriel Klein seit einigen Jahren und noch immer erstaunlich offen tastend die Einheitsgemeinde leitet, in unaufgeregter Konkurrenz zu den orthodoxeren Kollegen der anderen Gemeinden.
Wie immer im Krimi stört ein Tod die Routine.
Mitten in Kleins behagliches Grübeln über die anstehende Schabbath-Predigt dringt die Nachricht, der allseits beliebte, fromme Lehrer Nachum Berger sei tot aufgefunden worden. Der Rabbi denkt übereifrig: „ermordet“. Nein, dimmt ihn die sehr solide Kommissarin Bänziger runter, eventuell war es auch nur ein Herzinfarkt, allerdings in Folge von Prügeln. Da die offizielle Übersetzerin der Polizei krank ist, springt der Rabbi hilfsbereit ein, um die auf Hebräisch verfassten Mails des Opfers zu übersetzen.
Und wird unfreiwillig zum Komplizen der staatlichen Ermittlungen: Dass der einsam lebende Vorbildpädagoge Berger ein Verhältnis mit einer verheirateten und zudem in der Gemeinde angesehenen Frau hatte und der eifersüchtige Gatte damit ein Motiv, teilt Klein, Diener zweier Herren, der Kommissarin und so der schweizerischen Staatsmacht mit. Dufte er das?
Fast alle anschließenden Handlungen des Rabbiners sind von dem Wunsch diktiert, diesen Geheimnisverrat ungeschehen zu machen. Und so folgen wir seinen mehr oder minder erfolgreichen Bemühungen, durch eigene Detektivarbeit Frieden in der Gemeinde und in einer Familie zu stiften, die von den harschen jüdischen Scheidungsgesetzen zerstört worden ist.
Das liest sich alles ganz anschaulich, ist angenehm dargestellt und für den Außenstehenden ein wenig exotisch. Bodenheimer erklärt die dem nicht-jüdischen Leser unvertrauten Vorschriften und Rituale nur knapp, ein Glossar unterstützt das Sachverständnis.
Doch dieser detailierte Einblick in die merkwürdigen Gesetzlichkeiten jüdischen Lebens erfreut, wie ich bei der deutschen Buchpremiere in Hamburg im Jüdischen Salon mitbekam, eher doch nur diejenigen, die sich sowieso für jede Erwähnung jüdischen Brauchtums und jüdischer Kultur begeistern.
Rabbi Kleins verzweifeltes und peinlich übergriffiges Bemühen, selbst den Fall zu lösen, um Schlimmeres von den Betroffenen und der Gemeinde abzuwenden, scheitert fürchterlich. Das ist die gute und bestürzende Seite des Romans, die gewiss in der Rabbinerausbildung ihren Platz unter dem Stichwort Vermeidung von Selbstüberschätzung finden wird. Ich habe vieles mit gespanntem Interesse verfolgt, zumal der Autor ein Händchen für die ironisch gefärbte Schilderung von Genreszenen hat.
Aber für einen guten Kriminalroman reicht das nicht. Wie viele Amateure unterliegt auch Professor Bodenheimer der irrigen Vorstellung, es reiche erst einmal aus, einen verstörenden Leichenfund in Szene zu setzen, um den Krimi ins Laufen zu bringen.
Nix da. Der Tod ist kein Skandalon mehr. Erst die Literatur muss ihn wieder dazu machen, sonst: Langeweile. Was dem Rabbiner abgeht, sind Zorn, Wut, Empörung, Auflehnung. Der Tod gehört zu seinem Rabbinergeschäft, und wenn daran etwas Irreguläres gewesen sein sollte, dann kümmert er sich auch darum. Der Rabbiner will es allen recht machen, dem Staat, der Gemeinde, der zerstrittenen und gekränkten Familie des Verstorbenen und auch seiner robusten und für etliche komische Szenen gute Frau Rivka. Das ist verständlich.
Aber die Sorgen eines Gemeindepfarrers bleiben die Sorgen eines Gemeindepfarrers. Rabbi Klein hat Theologensorgen, Beamtensorgen, Politikersorgen. Die machen aus ihm noch keinen Detektiv, sondern eher einen Detektivdarsteller. Wirklich folgen können ihm nur die Leser, die von Herzen seine Sorgen um den Frieden in der Gemeinde teilen. Leider gelingt es Bodenheimer nicht, aus dem Konflikt des Rabbis mit den diversen Gesetzlichkeiten tatsächlich Spannung zu schlagen.
Bodenheimer beschränkt sich und uns auf die doch beschränkte Rabbiner-Perspektive. Leider bleibt daher Nachum Bergers Tod ein Tod unter vielen und sein Fall – trotz einer exotischen Business-Class-Reise nach Jerusalem – ein Alltagstod. Im Februar 2015 soll ein zweiter Fall mit Rabbi Gabriel Klein erscheinen. Mal sehen, ob das ein richtiger Kriminalroman wird.
Alfred Bodenheimer: Kains Opfer
Nagel & Kimche, 224 Seiten
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