Schrieb Don Winslow schon immer so?
Lässt Don Winslow jetzt die Sau raus?
Oder hat der Autor so großartiger Bücher wie Tage der Toten (Power of the Dog), Tage des Zorns (Savages) oder Frankie Machine (The Winter of Frankie Machine) den Verstand verloren?
Sein neuer Roman Vergeltung, der dieser Tage bei Suhrkamp erscheint (in den USA ist Vengeance noch nicht veröffentlicht) liest sich über weite Strecken wie ein Landserheftchen. So eine Ansammlung von Militär- und Krieger-Verherrlichung gekoppelt mit reaktionärem Rachegefasel habe ich lange nicht mehr gelesen.
Wäre der Verfasser dieses Waffenkatalogs und dieser Akronymsammlung nicht Don Winslow, hätte ich es nicht zu Ende gelesen, und das Teil als Fehlversuch aus der Tom-Clancy-Schule beiseite gepfeffert.
Kostproben gefällig?
„Donovan ist mit einem M32 MGL bewaffnet, der in drei Sekunden bis zu sechs 40mm-Granaten und eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Munitionsarten verschießt, darunter auch die für das Gelingen der Mission entscheidende HUNTIR – High Altitude Unit Navigated Tactical Imaging Round.“
Gefühlt 65% des Textes bestehen aus krudem Militär-Sprech: „EKIA – Enemy Killed In Action.“ Ein MAM („Military Aged Male – ein Mann im wehrfähigen Alter“) muss, wenn er Spitzensöldner werden will, Abkürzungen dieser Art beherrschen wie den Abzugsbügel seines „AWSM-.338 Lapua Magnum-Scharfschützengewehrs“.
Als „weltbester Soldat“ hast du im Kampf gegen hunderte islamistischer „Tangos“ zugleich einfach keine Zeit für Ganzwortbefehle.
Veteran sieht rot
Der Plot von Vergeltung ist schlicht wie ein Marschbefehl. Ex-Delta-Force-Major Dave Collins verliert bei dem Absturz einer Passagiermaschine Frau und Sohn, die Weihnachten (!) bei den Großeltern feiern wollten. Da die US-Regierung (Obama, das Weichei! wird nicht namemtlich genannt) den Krieg gegen den Terror nicht weiterführen will, deklariert sie den Anschlag, bei dem rund 800 Menschen starben, als Unfall. Als Collins sich gerade die Pistole in den Mund steckt, klingelt ein wackerer Amerikaner an der Tür und beweist, dass es doch islamistischer Terror war. Collins gewinnt die Verwandten der Opfer dazu, ihm ihre Entschädigungen der Versicherung zu spenden. Mit 280 Mio Dollar Basisfinanzierung startet Collins seinen Vergeltungskrieg gegen den Terroristen Aziz, einziges Ziel: Rache durch Liquidierung. Mit dabei: die „weltbeste“ Söldnertruppe seines ehemaligen DF-Kommandeurs Donovan. Eine bildschöne FBI-Vernehmerin liefert die nötigen Hintergrunddaten. Der Rest verläuft nach dem Muster unzähliger Söldnerromane: Dave muss sich bewähren, die Einzelkämpfer werden zur Bruderschaft zusammengeschweißt, Verräter werden enttarnt, die uneinnehmbare Festung eingenommen (die Alistair MacLean-Komponente).
Aziz soll vernichtet werden. Aber die Feinde sitzen in der Regierung. In deren Auftrag blockiert Admiral Wendelin Daves Konten. Aber im Herzen ist er dann doch bei den Söldnern. Wie ein Militär aus Ludlums Feder weiß er, was zu tun ist. Ballern. Wenn die Regierung zu schwach zum Handeln ist, übernehmen wir das Kommando.
Nicht zu glauben
Vergeltung hat nichts Parodistisches, es ist keine Karikatur. Frei von Witz, Hintersinn, Überraschungsmomenten, Vielschichtigkeit, Satire oder irgendeiner anderen bisher Winslows Bücher auszeichnenden Qualität ist es tatsächlich die dumpfe, Söldner- und Kriegertum blind verherrlichende Schwarte. Nur ein oder zwei Feigenblättchen von Selbstzweifel unterbrechen kurz das Niedermetzeln der „Tangos“ . (Würde Diana das noch wollen? Ja! Bumm!) Das Hohelied der Kameraderie schrillt in den höchsten Tönen. Original Don: „Erbitterte Loyalität. Außergewöhnlicher Mut. Eine größere Liebe gibt es nicht“.
Im Rückblick sieht man besser. Tage des Zorns (Savages) gehorcht einer ähnlichen Dramaturgie. Auch hier verteidigt eine kleine auserwählte Truppe ihren amerikanischen Lebensstil mit allen gewaltsamen Mitteln. Sollten die Ironie, die Satire und die Tragik, mit der Winslow diese Geschichte erzählte, nur der kalifornischen sunshine-state- Variante des amerikanischen Way of Life gegolten haben? Während es in Vergeltung um die brachiale Verteidigung des Soldaten/Kriegers/Mannes als wahrem Veteranen und Patrioten geht? Dann wäre jetzt der wahre Winslow ans Licht getreten: ein Redneck-Propagandist, Waffennarr und antidemokratischer Spinner. For God’s sake!
Don Winslow: Vergeltung
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp, 492 Seiten
Hier mein Verriss in der ZEIT vom 27.2.14