Ort und Zeit mal ernstgenommen: Uta-Maria Heim und Robert Hültner
Geschichte und Region – bis zum Erbrechen der Begriffe werden sie in „historischen“ und „Regio“-Krimis exploitiert. Die meisten literarischen Missgeburten mit diesen Etiketten handeln weder von Verbrechen, die aus der Geschichte entwickelt werden, in der sie spielen sollen, noch von den Regionen, in denen sie angesiedelt sind. Sondern von Kulissen und Klischees. Die meisten haben soviel mit Region oder Geschichte zu tun wie die Sandalenfilme Hollywoods mit der Antike. Nur sind sie meist noch langweiliger.
Deshalb kann man vor Freude in die Luft springen, wenn es mal Kriminalliteratur gibt, die historische Konflikte und geschichtliche Figuren in Sprache und Plot ernst nimmt und gestaltet. Autoren, die das können sind schon seit langem (und deshalb auch beide mehrfach ausgezeichnet) Uta-Maria Heim und Robert Hültner.
An ihren Büchern könnten die do-it-yourself-Schreiber lernen, wie Lesevergnügen entsteht aus dem Einlassen und Zuhören auf lokale Eigentümlichkeiten, Klangfarben, Denkweisen, wie Geschichte fremd und erlebbar zugleich wird durch Konflikte und Konfliktlösungen, die diesen Orten, diesem Menschenschlag zugehören und von Könnern zugeschrieben werden. Uta-Maria Heim, geboren im Schwarzwald, ansässig in Württemberg, gewinnt Luft aus dem Atem- und Dialektwechsel zwischen den Mikroklimazonen jener grundgesetzlich zusammengeschusterten Ländle. Ihr Fall – ein ehemaliger Polizeibeamter und verdeckter Ermittler wird mit einer Waffe erschossen, die aus dem Haus einer alten kommunistischen Familie veschwunden ist – ist eingebettet in einen verzwickten und durch Verschweigen wie Lügen, Erzählen und Erinnern durcheinander gewirbelten Schallraum. Weder den ermittelnden Polizisten noch dem Leser fällt die Orientierung leicht zwischen Gedenkdaten und politischen Linien, Verwandtschaftsbeziehungen und Rachesträngen, Politik und Privatem. Wespennest setzt die achtzehn Jahre zuvor in Das Rattenprinzip ungeklärt gebliebene Mord- und Totschlaggeschichte fort. Nazis und Antinazis, Reporter und Spione, Kommunisten und Kriegsverbrecher kommen hier vor, weil sie so und nicht anders am Ort sind: Miteinander verwandt, verfeindet, verhasst, verliebt, auch wenn der eine sechzehn Jahre in Kuba untertaucht und die andere im elterlichen Bauernhof.
Region als Chaos, als undurchdingbare Undichte – herrlich.
Heims Wespennest spielt heute und findet die Ursachen der mörderisch ausgetragenen Konflikte in Krieg- und Nachkriegszeit, in den RAF-Jahren und den Verwerfungen der Wiedervereinigung.
Roberts Hültners Inspektor Kajetan kehrt zurück ist ohne Zeitverweis nach vorn oder zurück fest situiert im Jahr 1928. Auch dieser Roman lebt von genauestem Hinschauen und Zuhören, präziser Einfühlsamkeit und Kenntnis der lokalen Gegebenheiten. Ex-Polizist-Kajetan landet auf der Flucht vor einer Fatwa der Nazis, die bereits die Münchner Politische Polizei kontrollieren, im Grenzland. Dort will er mit Hilfe von alten Bauerngenossen und Bergführern übers Hochgebirge emigrieren, wird aber in den Mord an einem lokalen Hotelier und die Flucht eines braven Kommunisten verwickelt, dem ein Spitzelmord angehängt werden soll.
Wie in den anderen Kajetan-Romanen entfaltet Hültner – Region gleich Rechtlosigkeit – die Verwerfungen zwischen alter und neu aufziehender Gewaltherrschaft, zartem demokratisch-rechsstaatlichem Denken Einzelner und brutalem Opportunismus zu einem Sozial- und Sittengemälde bayrischer Zustände und bayrischer Menschen. Ihre Lebendigkeit lässt verstehen, warum die Sehnsucht nach Regionalkrimis so groß ist.
Hültner widerspricht in seinem großartigen Realismus jedem Klischee: Nicht nur die Bayern sollten sich freuen, dass ihnen einer den weiß-blauen Himmel wegzieht. Denn gute Krimis sind nicht albern und schönfärberisch, sondern schwarz und realistisch. In Krisenzeiten erst recht.
Auszug aus einem Beitrag für das Börsenblatt 14/2009
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