Angie Kim presst Mutterängste und Integrationszwang in ein tolles Krimidebüt
Dass Angie Kims Debüt auf persönlichen Erfahrungen beruht, wird in den englischsprachigen Rezensionen und einem Interview des Guardian ziemlich breitgetreten.
Wie die 1969 in Südkorea geborene, in den USA aufgewachsene ehemalige Anwältin mit ihrem knapp zweijährigen Sohn, der an eitriger Dickdarmentzündung litt, keine schulmedizinische Hilfe fand, in einen Sauerstoffdrucktank kletterte und dort mit kotzenden, ihren Kopf an die Wand hämmernden, sprachgestörten, multipel behinderten Kindern hockte, sich schuldig fand, nicht genug für ihren Sohn zu tun und in einen Wettstreit mit den anderen „goose mothers“ trat – das ist alles sehr ergreifend, und es spielt für das Verständnis dieses tollen Romans nur insofern eine Rolle, dass man sich Seite um Seite wundert, wie es Kim (und ihrer Übersetzerin Marieke Heimburger) gelungen ist, all dieses Leid, diese Hysterie und abgrundtiefe Verzweiflung in einen derart spannenden Roman zu verwandeln. Der Guardian bezeichnete ihn als „a dissection of US healthcare and immigration, wrapped in a courtroom thriller“. Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass es sich außerdem um eine ziemlich rasante Mordermittlung handelt, die im Bereich von Ängsten, Verdrängungen, Geständnissen, Lügen unter Zeugen und Angeklagten vollzogen wird, die nur eins wollen: nicht schuldig sein. Und zum Schluss finden sie heraus, dass sie alle schuldig waren, mehr oder minder.
Ausgangspunkt ist ein Feuer und die daraus resultierende Explosion eines Drucktanks zur Sauerstofftherapie, den die aus Südkorea eingewanderte Familie Yoo in einem Kaff in Virginia betreibt. Ein autistischer Junge und eine begleitende Mutter kommen ums leben, mehrere Personen werden teils schwer verletzt, die Mutter des verstorbenen Jungen wird wegen Mordes angeklagt. Der Rest ist raffinierte Psychologie und enorme Spannung.
Angie Kim: Miracle Creek
Aus dem Englischen von Marieke Heimburger
hanserblau, 510 Seiten
MIRACLE CREEK stand im Mai und August 2020 auf der Krimibestenliste, der Text entstammt dem Newsletter zur Krimibestenliste
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