Dror Mishani etabliert sich mit seinem dritten Avi Avraham als Meister
Als Dror Mishani 2013 seinen ersten Kriminalroman mit Avi Avraham veröffentlichte, geriet eine Industriestadt in den Fokus: Cholon. Auf der Karte lässt sich diese mehrheitlich von Misrachim – jüdischen Einwanderern aus Nordafrika oder dem Nahen Osten – bewohnte Stadt kaum vom benachbarten mondänen Tel Aviv unterscheiden. Jetzt, mit Mishanis drittem wunderbaren Roman Die schwere Hand, ist Cholon endgültig eine eigenständige Metropole feiner literarischer Kriminalität geworden.
Lesern der ersten Bände, Vermisst von 2013 und Die Möglichkeit eines Verbrechens von 2015, ist Mishanis Verfahren vertraut. Er entwickelt seine Fälle aus der Perspektive des Ermittlers, des nun zum Oberinspektor avancierten Avi Avraham, und der eines Opfers oder Zeugen – im neuen Buch ist es eine mehrfach geplagte Frau. Mali ist Mutter zweier Mädchen und erwartet ihr drittes Kind. Seit Coby, ihr aus Australien eingewanderter Ehemann, arbeitslos ist, ist sie Alleinernährerin der Familie. Am schwersten lastet auf ihr die „schwarze Hand“, ein wiederkehrender traumatischer Fetzen Erinnerung an eine Vergewaltigung, deren Opfer sie bei einem Betriebsausflug ihrer Bank ins Seebad Eilat wurde. Und jetzt wird Coby immer seltsamer. Nachts sitzt er auf dem Dach, mit einer Pistole, tagsüber redet er nicht mehr. Er hat eine junge Frau angefahren, Mali soll den Unfallwagen sichern.
Der Oberinspektor ist glücklich mit seiner slowenischen Freundin, die aus Brüssel zu ihm gezogen ist, aber zugleich verunsichert: Wird er es schaffen, die erste Mordermittlung, die er leitet, erfolgreich abzuschließen? Mishani versteht es von Buch zu Buch kunstvoller, aus alltäglichen Situationen Szenen zu entwickeln, die die Welt seiner Figuren erschüttern. Die 60-jährige Lea Jäger wurde erwürgt, der unwahrscheinlichste Ermittlungsstrang (den Avraham gegen alle Widerstände verfolgt) ist verknüpft mit der Tatsache, dass das Mädchen Opfer einer Vergewaltigung wurde. Auch bei weiteren vergewaltigten Frauen ist ein Polizist aufgetaucht, der sie genauestens zur Tat befragte. Er ist einer von zwei Männern, die alles wissen wollen, der andere ist Avraham.
Die jüdisch-biblische Vorstellung eines eifersüchtigen Gottes manifestiert sich in diesen beiden irdischen Verkörperungen männlichen Erkenntnisdrangs – reflektiert in der wachsenden Hilf-, nicht Tatenlosigkeit der Erzählerin. Mishani wirkt in leiser, vor Sorge und Zweifel zitternder Sprache der Reflexion. Mishani startete provokativ mit der Behauptung, in Israel gebe es keine Kriminalromane. Jetzt ist er selbst ein Meister in diesem Fach geworden.
Dror Mishani: Die schwere Hand
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke;
Zsolnay, Wien 2018; 288 Seiten
Dieser Beitrag erschien erstmals in der ZEIT Nr. 7 vom 7.Februar 2018 und stand zwei Monate auf der Krimibestenliste
Schreibe einen Kommentar