John le Carré kehrt in ABSOLUTE FREUNDE nach Deutschland zurück und das tut ihm gut
Der Libyer Antaios war unbesiegbar. Der Riese zwang jeden, der bei ihm vorbeikam, zum Ringkampf und verlor nie, weil all seine Riesenkraft sich erneuerte, sobald er den Boden berührte. Wie dieses Urgetüm der Bodenständigkeit scheint auch John LeCarré seine Kraft wiederzugewinnen, wenn er sich Deutschland zuwendet.
1963 wurde er mit Der Spion, der aus der Kälte kam auf einen Schlag weltberühmt. Als David Cornwell geboren und 1960 bis 1964 beim britischen Foreign Service angestellt, hatte LeCarré in Bonn, Hamburg und Berlin ein wenig Kalten Krieg führen gelernt und 1961 den Bau der Berliner Mauer miterlebt. Sein Blick auf den Untergrund der ost-westlichen Systemauseinandersetzung legte die Verwerfungen in den Seelen der Kombattanten bloß und mystifizierte mit zuvor unbekannter Raffinesse die Infamie geheimdienstlicher Intrigen. Damals verkörperten der britische Agent Alec Leamas (eine der Glanzrollen Richard Burtons) und der Stasi-Offizier Hans-Dieter Mundt die heillos ineinander verschlungenen Feinde.
40 Jahre später, in seinem soeben erschienenen neuen Roman Absolute Freunde sind es wieder ein Brite von dubioser Abstammung und ein Ostdeutscher, die an den Fäden geheimdienstlicher Operationen zappeln, obgleich sie fest überzeugt sind, aus eigenem Antrieb zu handeln. Ted Mundy und Sascha (wer denkt bei diesem Namen nicht an den Stasi-Agenten und Poeten Sascha Anderson?) haben sich 1968 kennen gelernt. Ted, so breitet LeCarré in einer 200-Seiten-Rückblende mit aller Kunst des großen Erzählers aus, gelangt auf Abenteuersuche in das Berlin der Studentenbewegung, wo ihm Sascha als koboldhafter Hausprophet einer revolutionären Kommune begegnet.
Es ist, als sei Teds ganze bisherige Entwicklung auf dieses Treffen zugelaufen. Als „Mitternachtskind“ in Lahore 1947 mit dem Glockenschlag der indisch/pakistanischen Unabhängigkeit geboren, aufgezogen von einer amah, einer Kinderfrau, und einem nur allzu bald dem Trunk verfallenen Majorsvater, gewinnt Mundy, immer der soziale Außenseiter, immer nur der, der „zu uns gehören könnte“ einen ersten Mentor in seinem Deutschlehrer.
Dieser Liebhaber von Schubert, E.T.A. Hoffmann und Karl Marx hat sich aus Hitler-Deutschland gerettet, nennt sich, um als Hugo Mandelbaum nicht aufzufallen, Mr. Mallory und pflanzt Ted seine unglückliche Liebe zu Deutschland ein. „Eine andere Sprache zu besitzen, so sagte Karl der Große, heißt, eine andere Seele zu besitzen“, zeigt er dem jungen Mundy den einzigen Fluchtweg, den der Deklassierte aus seiner Wurzellosigkeit finden kann.
Sascha passt wie die andere Hälfte jener von Otto Guericke zur Demonstration des Luftdrucks leer gepumpten Halbkugeln zu Ted, keine acht Pferde werden sie auseinander bringen. Der Sohn eines protestantischen Pastors, mit verkrüppelten Beinen geboren, kann kaum laufen, hat aber hochfliegende Pläne. Als ewig Revoltierender und Wahrheitssucher ist Sascha der Träumer, Mundy, der pragmatische Sportler, die Stütze an seiner Seite. Absolute Freunde werden sie, als Mundy Sascha unter Einsatz seines unversehrten Körpers in einer Straßenschlacht aus den Händen der Polizei befreit.
In seiner Freizügigkeit erinnert das 68er-Berlin LeCarrés an Christopher Isherwoods laszive Metropole der dreißiger Jahre. In diesem geteilten Kessel brodeln Ideen, Verschwörungen, Hoffnungen. Absolute Freunde beweisen sich über Grenzen hinweg, Jahre nach dem Polizeieinsatz begegnen sie sich wieder. Mundy arrangiert inzwischen für den British Council Kulturbegegnungen, Sascha, ein Rädchen im Stasi-Apparat, gewinnt ihn als Perspektivagenten. Bis zum Fall der Mauer haben die beiden als Doppelagenten Ihrer Majestät den östlichen Despotismus zersetzt, nach 1989 driften sie wieder auseinander.
Mundy leitet eine Sprachschule, geht Bankrott, wird Fremdenführer auf Schloss Linderhof, wo Sascha wieder auftaucht. Der Irak-Krieg ist gerade vorbei und Mr. Blair noch „zuversichtlich, dass die irakischen Massenvernichtungswaffen in Bälde gefunden sein werden.“ Wieder verfolgt Sascha ein großes, menschheitsbeglückendes Projekt, das ohne Ted nicht verwirklicht werden kann. Ted ist also wieder dabei – und alles endet in einem Massaker.
Nach literarisch müden Rentnerausflügen in die Karibik oder nach Kenia ist LeCarré wieder zurück in Deutschland. Als zorniger Alter schreibt er scharf wie ein Junger: Absolute Freunde ist LeCarré at it’s best , ein großer Traum über Deutschland, schwarze Romantik, geboren aus der Sehnsucht eines wurzellosen Briten.
Beitrag aus der ZEIT vom 4. März 2004
John le Carré: Absolute Freunde (original 2003: Absolute Friends)
aus dem Englischen von Sabine Roth
List, 2004, 425 Seiten