Oliver Bottini und Astrid Paprotta über die Unschuld der verstörten Ermittler
So stark, so bildmächtig hat lange keiner mehr angefangen.
Ein Mönch geht sein Weg. Ein Asiate, gekleidet mit dunkler Kutte und Sandalen. Es ist Winter, und er hat eine Schlagverletzung am Kopf. Eines Sonntags taucht er in einem Ort am Schwarzwald auf, hält den zusammengelaufenen Dörflern seine Bettlerschale hin. Später verschwindet er Richtung Wald. Der vom Bürgermeister herbeigerufene Dorfpolizist („Unsere Leute werden unruhig’, sagte er, Du musst ihn wegschaffen.’“) folgt dem Verletzten ins Schwarz-Grau der Winterdämmerung. Aus dem nahegelegenen Freiburg wird Hauptkommissarin Louise Bonì herbeigeholt. Mit dem Dorfpolizisten und einem jungen Kollegen, der gerne rasant fährt, folgt sie den Spuren des befremdlichen Menschen. Als sie ihn erreichen, spricht er unverständlich. Er ist verängstigt, geht aber stur seinen Weg. Die drei Polizisten begleiten ihn, denn er scheint in Gefahr. Bonì folgt ihm, über die Pflicht hinaus. „Sie spürte, dass sie ihn unbedingt in Stück auf seinem mysteriösen Weg begleiten wollte.“
Jägermeistergedanken
In der Nacht kauern sich Kommissarin und Mönch unter einen Baumstamm, sie glaubt, Verfolger zu hören. Sprechen können sie nicht miteinander. Am Morgen zieht er weiter, Bonì beauftragt die Kollegen, ihn zu beschützen, soweit ihr Bezirk reicht. Am Abend ist der Dorfpolizist schwer verletzt, der junge Rennfahrer erschossen, der Mönch verschwunden.
Das Buch, das so unwiderstehlich beginnt, hat einen bescheuerten Titel: Mord im Zeichen des Zen. Sein Autor Oliver Bottini hat zuvor Sachbücher über Buddhismus verfaßt, da werden der Verlag (oder die Verlagsvertreter, die entscheiden neuerdings über die Titel) gedacht haben: Esoterik kommt gut. Außer dem Titel ist nichts bescheuert an diesem Buch. Geschrieben ist es in einem kraftvollen, unsentimentalen Duktus, um den Krimiprofis – und nicht nur die – den Debütanten beneiden könnten.
Mit Hauptkommissarin Loise Bonì betritt ein Kind der 68er die Krimibühne. Ihre Mutter ist eine unheilbare Männerhasserin, der Vater ein Franzose, der ein deutscher Waschlappen geworden ist. Bonì, von ihrem Mann betrogen und verlassen, ist die einzige, die nicht verwinden kann, dass sie im Dienst einen Mann erschossen hat. Sie säuft. Das meiste, was Bonì auf ihrer eigensinnigen (und nach der fälligen Suspendierung auch illegalen) Suche nach Tätern und Hintergründen begegnet, scheint „Jägermeistergedanken“ entsprungen: die buddhistische Klostergemeinschaft im Elsässischen, die Verwicklung der sanftmütigen Beter in Kinderhandel und -schändung, die Thailänderin, die ihr im entscheidenden Augenblick nicht in den Kopf schießt.
Bis das Verbrechen hervortritt
Im Kriminalroman kann das Verbrechen zwei Gesichter haben: ein realistisches oder ein phantastisches. Der stumme Mönch, der eine Fußspur durch den Schnee zieht, ist eine phantastische Rätselfigur. Ihre Fremdheit entspricht dem Bruch, den das Verbrechen im Ordnungsgefüge der Gesellschaft hinterläßt. Astrid Paprotta hat in ihrem dritten Kriminalroman Die ungeschminkte Wahrheit ein ähnlich verstörendes Bild gefunden.
In der Großstadt (man kann Frankfurt am Main vermuten), in der Kommissarin Ina Henkel sich wegen der Sommerhitze kaum rühren mag, werden Obdachlose tot aufgefunden. Ihre Gesichter sind theatralisch grell geschminkt für den allerletzten Auftritt.
Ein Serienmörder scheint am Werk, dessen imaginierte Konturen sich mit den Dämonen verbünden, die Ina Henkel nächtens heimsuchen. Auch sie kommt nicht darüber hinweg, dass sie einen Täter erschossen hat. Als sie sich endlich traut, den Würstchenverkäufer, der sie seit Wochen anhimmelt, in ihr Bett zu holen, schreit ihre innere Stimme: „Du schläfst mit einer Mörderin.“
In Umkehrung des Jesuswortes von den Kindern, die das Himmelreich sehen werden, könnte man sagen: Nur wer kindlich geblieben ist, wird die Hölle erblicken können.
Ina Henkel und Louise Bonì haben sich den Trotz, die Neugier, die Empfindsamkeit von Kindern bewahrt. Als Verstörte sind sie imstande, den Verstörungen nachzuspüren, sich der Faszination der erschreckenden Bilder auszusetzen, bis der Umriß des Verbrechens deutlich hervortritt. Krimiautoren bewegen sich ästhetisch auf einem scharfen Grat zwischen Weckung der Sensationsgier und Öffnung des Blicks. Im einen Fall entsteht Kitsch, im anderen, gelungenen, wie bei diesen beiden, bleibt über das Romanende hinaus ein Bildeindruck haften. Er erinnert daran, dass wir nicht nur das Schema Spannung – Lösung durchlaufen, sondern die wirkliche dunkle Seite der schönen globalisierten Gegenwart gesehen haben.
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 48 vom 18.11.2004
Oliver Bottini: Mord im Zeichen des Zen
Scherz, 2004, 367 Seiten
Astrid Paprotta: Die ungeschminkte Wahrheit
Piper, 2004, 332 Seiten