Beschädigtes Leben
Geschichten von Doris Gercke
Gut dreißig Jahre ist es her, dass der Kriminalroman Weinschröter, du musst hängen nicht nur die Krimifans in Erregung versetzte. Eine neue, raue weibliche Stimme meldete sich da, in harschen, lakonischen Sätzen beschrieb sie mit klinischer Präzision, was deutsche Krimis, von der Kunstliteratur mal zu schweigen, bisher sanft zu ummänteln pflegten. Einer Frau wurde nicht irgendwie „Gewalt angetan“, sondern sie wurde von einer Bande betrunkener Wendland-Rüpel mit einem Besamungsgerät sadistisch vergewaltigt. Ebenso klare Kante zeigte die Kommissarin. Sie hatte einen guten Zug, hielt auch sonst mit ihren Meinungen, speziell über maskulinen Abschaum und Ungerechtigkeit, nicht gerade hinter dem Berg. Die Kommissarin hieß Bella Block und wurde, verkörpert durch die famose Hannelore Hoger, in 38 TV-Folgen eine der bekanntesten Fernsehkommissarinnen. Die Erfinderin der literarischen Figur, die schon bald den Polizeidienst quittierte und eigene Wege ging, war Doris Gercke. Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag hatte sie nach Begabtenabitur und Studium mitten in den juristischen Staatsprüfungen zum Richteramt ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht. So sah 1988 weiblicher Aufbruch aus.
Jetzt hat Doris Gercke, die gerade 82 Jahre alt geworden ist, nach 17 Krimis mit einer immer einzelgängerischer werdenden Bella Block und weiteren Romanen einen Band mit Geschichten vorgelegt, in dem eine verteufelt gute Schriftstellerin noch einmal zeigt, was sie draufhat. Frisches Blut sind diese 15 deutschen Geschichten überschrieben. Einige sind früher schon in Anthologien erschienen, andere sind unveröffentlicht, allen gemeinsam ist der lakonische, mal ins Sarkastische, mal ins Satirische schwingende, immer aber trockene Erzählton.
Man könnte sie in Anlehnung an Adornos Minima Moralia als „Erzählungen aus dem beschädigten Leben“ charakterisieren. Oft beginnen sie mit einem Bruch. Eine Frau möchte nicht mehr bei ihrem Mann bleiben, ein Richter Beruf und Ehe für eine Jüngere verlassen. Selten geht das gut aus, aber meist mit offenem Schluss. Der Fall ist zwischen zwei Sätzen versteckt, die man leicht überliest. Es geht um Dispositionen, aus denen etwas geschieht, nicht um Taten. Warum schlägt jemand, was bewegt jemanden, zu gehen, zu schießen? Gerckes Blick ist selten so parteiisch wie in der schwarzhumorigen Geschichte Huren von Hagen, meist ist er analytisch distanziert. Stark sind diese kurzen Geschichten, abgeklärter als die verwandten eines Ferdinand von Schirach, ohne dessen Yellow-Press-Effekte. Und völlig frei vom vermeintlichen Auflösungszwang des Kriminalromans.
Doris Gercke: Frisches Blut
Deutsche Geschichten; Ariadne im Argument Verlag, 210 S., 15,– €
Dieser Beitrag wurde zuerst in der ZEIT Nr 10 vom 27.2.2019 veröffentlicht