Fünf Titel sind neu: je einer aus den USA, Australien und Argentinien sowie zwei aus Deutschland. Die Schauplätze: Adirondacks, New York State, „Tiverton“, South Australia, Berlin, Essen, Ruhrgebiet, Argentinien, Paraná.
Angesichts des Großverbrechens Angriffskrieg, das Putin begeht, möchte man über Krimis schweigen. Seit drei Jahren und einem Monat. Und über den Imperialismus aus dem Weißen Haus ebenso.

Drei Frauen, drei Autorinnen aus den USA auf den ersten drei Plätzen – das gab es noch nie in der zwanzigjährigen Geschicht der Krimibestenliste. Und insgesamt vier deutsche Autoren: Es sieht gut aus für den deutschsprachigen Kriminalroman.
Wieder auf Platz Eins im März:
1 Sing mir vom Tod (Sing Her Down)
Neu auf der Krimibestenliste März:
3 Der Gott des Waldes (The God of the Woods)
Von der 1983 geborenen Autorin und Dozentin Liz Moore stand bereits 2020 ein Kriminalroman auf der Bestenliste: LONG BRIGHT RIVER. Ging es damals um Schwesternrivalität in Philadelphia, so führt uns Moore diesmal buchstäblich hinter die Föhren. Eine reiche, vorgeblich am Naturschutz, tatsächlich nur an Bankgeschäften und Reproduktion der Dynastie interessierte Familie öffnet jeden Sommer ihr „Camp Emerson“ Kindern und Jugendlichen anderer wohlhabender Familien zum Survival-Training. Dass die Eltern ihre Sprösslinge in den dichten Wäldern der Adirondacks sicher aufbewahrt wissen, gehört zum Service.
Umso verstörender, dass 1975 erst ein, dann sogar zwei Mädchen im Unwegsamen verloren gehen. Zudem gibt es eine Vorgeschichte: 14 Jahre zuvor ist der ältere Bruder der heuer verschwundenen Barbara ebenfalls dem Gott des Waldes zum Opfer gefallen. Wieder wird nach den Verschwundenen gesucht, wieder vergeblich.
Was aber zwischen und in den Zeilen immer deutlicher wird: Die herrschenden Van de Laars und ihre feudalen Geschäftsfreunde sind nicht nur völlig unfähig im Wald – dafür gibt es kompetente Waldhüter – , sondern auch durch ihren Reichtum völlig asozial geworden. Fluchtreflexe sind da nur verständlich. Die unversöhnlich trauernde Mutter, eine bemitleidenswert und schonungslos gezeichnete Frau, flieht in Alkohol und Tabletten, Tochter Barbara in den Underground ihres persönlichen Punk-Protests. Aber es gibt auch noch menschlich handelnde Figuren, die sind alle am unteren Ende der sozialen Skala positioniert.
Großer Schmöker, Katrin Doerksen dazu hier.
5 Desolation Hill (Day’s End)
Jurymitglied Alf Mayer, ein großer Australienfan, hat Garry Disher, der inzwischen auch über siebzig ist, von der besonderen Qualität seiner Hauptfigur Senior Constable Paul Hirschhausen, genannt „Hirsch“, so sehr überzeugt, dass Disher nach drei Bänden über diesen einsamen Landpolizisten zwischen Staub und Straße nicht nur einen vierten geschrieben, sondern diesen Alf Mayer auch gewidmet hat.
DESOLATION HILL beginnt mit einer Leiche im Straßengraben, unprofessionell in einen Koffer gesteckt und mit schwer brennbarem Diesel angezündet. Diesen Fall verfolgen höhere Polizeieinheiten. Sie trauen Hirsch nichts zu. Eher kann er sich dem Fall eines Backpackers widmen, der irgendwie der riesigen Ranch abhanden gekommen ist, wo er ein Praktikum gemacht hat. Aber da kommt er auch nicht voran, stattdessen belästigt vom Blödsinn rassistischer Jugendlicher und rachsüchtiger Cybermobber. Das Elend am Rande des Outback ist überwältigend, nur Freundin und deren Tochter bewahren Hirsch vor der großen Depression. Bis sich dann alles – nach einem manipulierten Flugzeugabsturz – rasend schnell entwickelt und Hirsch alles geben muss: Empathie, detektivischen Spürsinn, Kampfkraft und Einsatzwillen, auch gegen bürokratische Vorgesetzte und Geheimnisträger.
Alf Mayer hat Garry Disher interviewt.
6 Skin City
Dünnhäutig ist die Stadt Berlin, dünnhäutig sind auch die Protagonisten in Johannes Groschupfs nunmehr vierten Berlin Noir.
Sehnsüchtig sucht sie nach dem Mann ihres Lebens: Romina Winter, erste und bisher einzige Romni-Kriminalpolizistin Berlins, aber auch verwundbar durch die Famlienbande, denen sie sich aller Autonomie zum Trotz verpflichtet fühlt. Clever, aber mit erschreckend kurzer Lunte: Hochstapler und Trickbetrüger Jacques Lippold, der nach Jahren im Knast die hochnäsigen Kunstsammler mal so richtig abzocken will. Und Georgier Koba (kleiner Gag: Das war Stalins Deckname als Untergrundkämpfer gegen den Zarismus) ist zu zart besaitet für seinen Job als Serien-Einbrecher in Berliner Villen, verletzt sich gefährlich am Arm und kommt letztlich aus dem Schlammassel organisierten Diebstahls nicht raus.
Groschupf spielt in Skin city mit allen naheliegenden Klischees, umgeht sie geschickt und schafft wieder einmal diese Berliner Groschupf-Atmosphäre: ein wenig versifft, grau, mit ambitionierten Losern, dabei nicht herzlos. Wie ein Freund bemerkte: Irgendwie das zukünftige Merz-Berlin, das Groschupf immer schon sah. Hui!
8 Sweet Home
Während Groschupf eher die Untersicht der Krimialitätbeleuchtet, erhalten wir von Norbert Horst die Draufsicht. Horst, inzwischen pensioniert als Kriminalhauptkommissar und daher professionell nur noch als Autor tätig, hat uns schon im letzten Jahr (Lost places) mit einer neuen Ermittlergruppe überrascht. Nach den preisgekrönten Romanen um die Polizisten Konstantin Kirchenberg und Thomas Adam ist er mit einem neuen Trio gestartet, das alle Berichtsbereiche der Kriminalität abdeckt.
Der halb türkische, halb deutsche KHK Deniz Müller musste in seiner Karriere viel alltäglichen, vielleicht sogar nicht böse gemeinten, aber so wirkenden Rassismus, schlucken. Als Leiter einer Mordkommission untersucht er den Tod eines aus Albanien stammenden Mannes mit Verbindungen ins Milieu. Unterstützt wird er von der Kap-Staatsanwältin Camilla Lopez mit kubanischen Wurzeln und von dem investigativen Online-Journalisten Alexander Rahn. Sie alle kennen sich seit der Jugendzeit.
Ihre verschiedenen Untersuchungen laufen letztlich auf ein Verbrechen zu, das Sweet Home den Titel gegeben hat: Ein Mann überfällt Frauen, die allein in ihren Häusern sind, betäubt sie, vergeht sich an ihnen und nutzt die Filme davon zu Demütigung und Erpressung. Ähnlich wie im Fall des fanzöischen Sadisten Pelicot sind die Opfer damit konfrontiert, ob sie ihre Scham öffentlich machen sollen.
Komplex, sehr nah an der realen Polizeiarbeit entlang geschrieben, ohne diese zu heroisieren.
10 Ámbar (Ámbar)
Ámbar ist fünfzehn und kennt wenig anderes als Flucht, Hotelwechsel und Vaterverarztung. Die ist häufig notwendig, denn Victor Mondragón ist ein berüchtigter Gewohnheitsverbrecher. Den Umgang mit Waffen und Wundmaterial kennt Ámbar von kleinauf. Als wieder ein Raubüberfall schief läuft, Victors Komplize getötet und er selbst verwundet wird, brechen Vater und Tochter zu einem Rachefeldzug auf. Bei dem Ámbar die erste Liebe kennen lernt, des Vaters Geliebte, den Bruder seines toten Komplizen – Gewalt als argentinische Lebensform.
Der Autor Nicolás Ferarro wurde 1986 in Buenos Aires geboren. Sein Grafikstudium soll er sich mit Pokern verdient haben. Ámbar wurde mit dem Premio Hammett ausgezeichnet. Sein amerikanischer Kollege James Sallis, selbst ein Stilist von Gnaden, bescheinigte Ferraro eine ganz eigene, klare Stimme. Ex-Jurymitglied der Krimibestenliste und Suhrkamp-Krimi-Herausgeber Thomas Wörtche schrieb hier über Ámbar.
Wo gibt es überall die KRIMIBESTENLISTE MÄRZ?
Die KRIMIBESTENLISTE MÄRZ ist seit Freitag, dem 7. März 2024, auf Deutschlandfunk Kultur online und kann hier als einseitiges PDF u.a. zum Aushang in Buchhandlungen heruntergeladen werden.
Die Neuerscheinungen März und vor allem über 20 Jahre Krimibestenliste haben Moderator Frank Meyer, Kolja Mensing und ich auf Deutschlandfunk Kultur gesprochen:
Nach und nach werden fast alle Neuerscheinungen der Krimibestenliste in Deutschlandfunk Kultur, immer am Freitag morgen gegen 8.20 Uhr, besprochen. Dort können Sie die Stimmen einiger Jurymitglieder vernehmen. Am Freitag, den 7. März hat Katrin Doerksen über die Nummer drei der Krimibestenliste und höchsten Neueinstieg im März DER GOTT DES WALDES gesprochen.
Diese und kommende Rezensionen zu den Krimis der Bestenliste wie auch zu anderen Büchern sind auf der Deutschlandfunk-Seite Rezensionen des Monats nachzuhören und zu -lesen.
Das CulturMag präsentiert ebenfalls die Krimibestenliste März nebst hochinteressanten Rezensionen nicht nur zu den Titeln der Krimibestenliste.
Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, und alle zehn Bücher engagiert kommentiert.
Bemerkenswertes aus der Kultur- und Krimiwelt
Wer sich zufällig am Dienstag, den 11. März um 19.00 in Osnabrück oder der Nähe aufhält, ist herzlich eingeladen zu einem Vortrag über 20 Jahre Krimibestenliste. Im zweiten Teil des Abends spreche ich im Spitzboden der Lagerhalle mit Norbert Horst anlässlich seines Romans SWEET HOME über Realität und Fiktion der Polizeiarbeit.