Die Krimibestenliste im Februar: fünf Neue aus fünf Ländern
Während manchmal die vorgestellten Kriminalromane der Krimibestenliste wirken, als seien sie erweiterte Kommentare oder erzählerische Stellungnahmen zu laufenden Debatten, halten sich die fünf Neuen im Februar eher auf Distanz zum umlaufenden Raunen.
Die Distanz ist auch räumlich bedingt: Die ersten Drei stammen aus Südafrika, aus Pakistan und der VR China.
In Mike Nicols DAS SCHLUPFLOCH begegnen uns in Kapstadt vier alte Bekannte: der Surfer, Privatdetektiv und Haschdealer Fish Pescado (was bekanntlich in seiner Mutter- wie seiner Vatersprache „Fisch“ bedeutet), seine Freundin Vicki Kahn, ihres Zeichens Anwältin mit Geheimdienstvergangenheit und einer starken Neigung zum Poker, sowie der Geheimdienstler Mart Velaze und die ihn führende fast über alles informierte „Stimme“, beide gemeinsam ein Korrektiv der gröbsten Fehlentwicklungen im staatlichen Geheimdienst.
Wir kennen sie aus den vorausgegangenen drei anderen Romanen der Kapstadt-Serie, einer ebenso elegant und amüsant wie satirisch scharf geschriebenen Reihe über die scheint’s endlose Korruption moralischer wie finanzieller Art im heutigen Südafrika, wobei Chinesen, andere Ausländer und CIA-Leute heftig mitmischen. Jurymitglieder Frank Rumpel und Hanspeter Eggenberger und ich haben darüber geschrieben und gesprochen.
VERRAT von Omar Shahid Hamid ist ein verzwickt konstruierter Spionage- und Liebesroman von einem der schon lange nicht mehr nur regionalen Nebenschauplätze des Weltinnenkriegs. Samir Ali Khan, dessen berufliche Karriere der das Autors ähnelt, ist Sicherheitsberater des Präsidenten und soll führend einen Maulwurf enttarnen, den die gegnerische Atommacht Indien in der pakistanischen Regierung platziert hat. Dieser fesselnde Roman umspannt das Intrigengewirr konkurrierender Geheimdienste, den Wettkampf verschiedener religiöser Bewegungen um Macht und Hetze, die Hoffnung auf friedlichen Ausgleich zwischen den beiden Ländern und eine tragische Liebesgeschichte, in der eine Frau in einen unlösbaren Konflikt zwischen Mutter- und Partnerliebe gestürzt wird.
Dass Zhou Haohuis Weltbestseller 18/4 – DER HAUPTMANN UND DER MÖRDER im von der Kommunistischen Partei diktatorisch überwachten und regierten China spielt, merkt man ihm kaum an – die allgegenwärtige Partei selbst kommt überhaupt nicht vor. Allenfalls einige Bemerkungen (einmal: „Politkommissar“, einmal: „Die Mächtigen und Einflussreichen können die Regeln brechen, wie es ihnen passt.“) lassen erahnen, dass der Autor nicht voll auf Linie liegt. Es geht um einen Mörder, anscheinend ehemals aus den Reihen der Polizei, der jetzt Leute mit dem Tode bestraft, die ihm von der Bevölkerung bezeichnet werden, aber ungestraft geblieben sind. Denn unter Xi Jinping kann es natürlich keine Verbrecher geben, die dem Auge des Großen Vorsitzenden und seiner Justiz entgangen sind – dem entgeht ja kein einziger Covid-Infizierter.
Der griechische Autor Petros Markaris nutzt mit seiner Serie um den Polizisten Charitos schon länger das Muster „Mörder tötet und schafft im Sinne des Volkes Gerechtigkeit“, um satirisch sowohl die Justiz als auch den moralisch zweifelhaften Volkswillen zu hinterfragen. Der Vergleich erhellt ansatzweise, wie sehr Zhou, der in einem Interview mit der New York Times von Eingriffen und Auseinandersetzungen mit der Zensur berichtet, seinen mit allen Kniffen und Wendungen auf hohe Spannung gebrachten Roman glätten musste. Im ersten Fall der dreiteiligen Serie geht es um Karriererivalitäten im auf (kommunistisch-) konfuzianistisch getrimmten Polizeiapparat, die Welt außerhalb folgt beliebigen „internationalen“ Mustern. Denn mit Erlaubnis der China Educational Publications Import & Export Corporations Ltd. Durfte der amerikanische Verlag seine Übersetzung an westliches Literaturverständnis anpassen. Und die wurde dann Grundlage der Übertragung ins Deutsche, über die Jurymitglied Marcus Müntefering bemerkt: „Holprig und ungelenk wirkt die Übersetzung, die voller Sprachklischees, überflüssiger Adjektive und kleiner Fehler ist“.
All das kennzeichnet die Schwierigkeiten eines Urteils über einen Roman, der in China und den USA zum Bestseller wurde: Samisdat oder ideologische Seidenstraßen-Konterbande? Trotzdem ist Zhou Haohuis Erstling spannend zu lesen und gibt, Verzerrungen mitbedacht, Einblick in den polizei-bürokratischen Alltag der schwer verständlichen VR China.
Nur allzu verständlich und vertraut, im Detail aber erschreckend sind die Ausprägungen toxischer Männlichkeit, die die drei Frauen nach und nach herausfinden, die in Doug Johnstones EINGEÄSCHERT nach dem Hinscheiden des Chefs den Familienbetrieb übernehmen, der Bestattungen und Privatermittlungen vereint. Dieser einfühlsam und mit offenem Blick für die Umtriebe der schottischen Mittelschichten geschriebene Roman ist der hoffnungsfrohe Beginn einer Serie. Bei der Lektüre sollte man den englischen Originaltitel A Dark Matter im Hinterkopf haben – ein Wortspiel des promovierten Atomphysikers Johnstone.
Wort- und andere Assoziationsspiele zu Hauf bietet die kanadische, in der Millionenstadt Edmonton lebende Autorin Candas Jane Dorsey in ihrem ersten Krimi DRAG COP, auch er Beginn einer Serie, die im Original ISABELS ADVENTURES lautet, benannt nach der unzerstörbaren lässigen Heldin eines Gedichts. In Conny Löschs Übersetzung ist DRAG COP pures Lesevergnügen: Ihr gelingt es, einen eigenen schnoddrigen Ton anzuschlagen, der als Waffe gegen die bekämpften religiösen Betrügereien und Heucheleien wunderbar trägt, ohne je in Zustimmung heischenden LGBTQ-Jargon zu verfallen. Helden des Romans sind eine entlassene namenlose Sozialarbeiterin und ihr teils queeres soziales Umfeld. Sie gehen dem gewalttätigen Tod einer jungen Sexarbeiterin nach, der der Polizei, zunächst jedenfalls, gleichgültig ist.
Die Krimibestenliste Februar ist seit Freitag, dem 4.Februar, bei Deutschlandfunk Kultur online und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Außerdem finden Sie die aktuelle Krimibestenliste im CrimeMag. Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, sondern auch die Veränderungen und oft auch einzelne Bücher engagiert kommentiert. Und bereits am Freitag morgen habe ich bei Deutschlandfunk Kultur DAS SCHLUPFLOCH als höchsten Neueinstieg besprochen.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!
Ihr Tobias Gohlis