Lauren Wilkinson hat große Themen, aber wenig Kraft
Spätestens als Barack Obama den Debütroman der 1984 geborenen Dozentin für Creative Writing Lauren Wilkinson auf seine summer reading list 2019 setzte, war AMERICAN SPY breite Aufmerksamkeit garantiert.
Das ist auch verständlich.
Denn Wilkinson fasst in ihrer Geschichte einer afroamerikanischen CIA-Agentin, die gegen einen charismatischen, milde sozialistischen schwarzafrikanischen Präsidenten eingesetzt wird, gleich mehrere heiße Eisen an: die doppelte Diskriminierung von Frauen und Schwarzen in den amerikanischen Geheimdiensten, den amerikanischen Imperialismus während des Kalten Krieges, die neokolonialistische Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung in der Dritten Welt und nicht zuletzt das bei einer schwarzen CIA- und FBI-Agentin, die gegen ihre „eigenen Leute“ vorgehen soll, besonders brisante „doppelte Bewusstsein“ (W.E. Dubois) der Afroamerikaner.
Diese Themen sind so heiß, dass die amerikanischen Rezensionen sich in Begeisterung und Zustimmung überschlugen. Dazu kommen noch ein paar Nebenkonflikte: die Schuldgefühle einer berufstätigen Mutter ihren Kindern gegenüber, die Unterdrückung männlicher Homosexueller in den Geheimdiensten, private Spionageorganisationen ersetzen die zumindest etwas besser kontrollierbaren staatlichen.
Konflikte zu Hauf, die Wilkinson zwar entschieden thematisiert (die Afrikathemen sogar in kleinen Aufsätzen), aber nur mühsam in einen Thrillerplot spannen kann.
Der geht so: 1992 wird die Ex-Agentin und jetzt als Übersetzerin tätige Marie Mitchell, Mutter von Zwillingssöhnen, nachts in mörderischer Absicht überfallen, kann den Attentäter jedoch erschießen und entzieht sich den polizeilichen Befragungen, indem sie mit falscher Identität bei ihrer Mutter auf Martinique Zuflucht sucht. Dort organisiert sie den Schutz ihrer Kinder und bereitet den Gegenschlag gegen den Anstifter des Attentats vor. Währenddessen verfasst sie für ihre vierjährigen Söhne ein Tagebuch mit ihrer Geschichte, das den Hauptstoff von Wilkinsons Buch ausmacht.
Sie ruft darin die Erinnerung an einen der modernsten, aber zugleich erratischen politischen Führer des nachkolonialen Schwarzafrika wach. Thomas Sankara war von 1983 bis zu seiner Ermordung 1987 Präsident von Burkina Faso und ist in vielen seiner politischen Vorstellungen bis heute vorbildlich. Er förderte massiv die Gleichstellung der Frauen, sorgte breit für Impfmaßnahmen und Bildung, lehnte neokoloniale Entwicklungshilfe zugunsten afrikanischer Selbsthilfe ab.
Dass die auf ihn angesetzte schwarze CIA-Agentin Sympathie für diese Politik empfindet, ist verständlich. Dass sie aber von der ersten Sekunde an seiner viril-männlichen Anziehung erliegt
ACHTUNG SPOILER
und nach einem One-night-stand im schwülen Ouaga (nur wahre Kennerinnen kürzen den Namen der Hauptstadt ab!) Mutter seiner Zwillinge wird
SPOILER ENDE
ist transatlantischer Kitsch.
Selten sind wichtige Intention eines Buches – was American Spy interessant macht – und schriftstellerisches Unvermögen so hart aneinander gekracht. Das gilt auch für Wilkinsons unbeholfene Sprache, die im Deutschen durch das Zusammenwirken von vier (!) Übersetzerinnen nicht gerade literarisch geworden ist.
Dies ist der überarbeitete Beitrag aus dem Newsletter zur Krimibestenliste August, wo AMERICAN SPY AUF PLATZ 9 eingestiegen ist.
Weniger kritisch die Rezensionen von Sonja Hartl und Katrin Doerksen
Lauren Wilkinson: American Spy
Aus dem Englischen von Antje Althans, Anne Emmert, Katrin Harlaß, Jenny Merling Tropen, 366 Seiten
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