Multiple Vergnügen, scharfer Realismus
Seinen ermordeten Vorgänger nannten sie Tommy Porno. Jetzt fährt Johnny Albano für Boss Eddie, der wiederum der Vignieri-Familie verantwortlich ist, Filmrollen durch New York und kassiert die Einnahmen in den Schuppen, Kellerlokalen und Sportstudios, die die Mafia-Franchise-Unternehmer als illegale Abspielstätten für den verbotenen Superfilm Deap Throat benutzen. Und wird von jedermann Johnny Porno genannt.
„Ich heiße Johnny Albano!“ Er mag es so oft wiederholen, wie er will. So wie sie ihm seinen Namen nehmen, verfügen sie auch über seine Selbstbestimmung. Wollen es zumindest.
Johnny ist ein guter Mann, das sagen alle. Er ist aber auch zu gutherzig. Und aufbrausend. Das hat ihn seinen Job als Bauschreiner gekostet. Jetzt muss er am Wochenende eben für Eddie Vento fahren, um den Unterhalt für seinen Sohn Jack zu bezahlen. Geld, das Nancy, seine Ex, eigentlich gar nicht braucht, weil sie mit dem Mitglied der Philharmoniker Nathan Ackerman als neuem Gatten das große Existenz-Sicherheitslos gezogen hat.
Aber Nancy hat Pläne: Sie will in der Ehe so lange aushalten, bis sie das Anrecht auf die Hälfte des Hauses erworben hat, das Ackermann für die Familie gekauft hat. So lange bumst sie mit Louis, ihrem Ex-Ex (Ackermann minus Johnny Albano = Louis, der erste und letzte) nachmittags, wenn sich Nathan um den Stiefsohn kümmert, nur undercover. Louis, ein notorischer Spieler, der ungefähr so weit denkt wie sein von etlichen Nancys umschwärmter (und zeitweise flizbelauster) Schwanz reicht, hat noch größere Pläne. Er will Johnny Porno überfallen, die Mafiaknete rauben und ab nach Florida, wo es noch mehr dumme „Paradeschnecken“ (so Andrea Stumpf in kongenialer Übertragung) gibt, die auf ihn reinfallen.
Louis ist nur einer von denen, die es auf Johnny abgesehen haben. In der Reihe stehen noch Nick, Eddies blöder Neffe, Billy, der perverse Bulle, der sich an den Affären seiner Frau aufgeilt, um dann ihre wahren oder eingebildetenLover umzunieten, und etliche Cops, die teils gegen, teils mit Eddie arbeiten. Und dann warten noch die, denen Johnny einfach so in die Quere gekommen ist.
Eines der multiplen Vergnügen, das Charlie Stella uns Lesern bereitet, besteht in der Knüpfung des Netzes, in dem sich der brave Johnny immer tiefer verstrickt. Wir sehen diese Deppen, Perverslinge, Gangster und Cops auf Abwegen ihre Fallen basteln – über etliche 200 Seiten – und wie sich das Missgeschick über ihm zusammenballt. Und hoffen, dass die einzig Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, auch über genug Verstand verfügt, um in Johnnys unzugänglicher Welt von Machotum und Ehrpusseligkeit klarzukommen und dem Kerl aus dem Schlamassel zu helfen.
Kein Missverständnis: Stella überzeichnet nur ein bisschen, seine Figuren sind keine Karikaturen, sondern Menschen, wie sie in ihren Trieben und Widersprüchen ticken. Er überhebt sich nie über seine Leute, sondern zeichnet scharf die Mechanismen einer Gesellschaft nach, in der das verfassungsmäßige Recht auf Glückssuche zum Kampf aller gegen alle mutiert ist.
Der historische Hintergrund ist scharf umrissen: Um von ihrem umfassenden Versagen (Vertiefung des Krieges in Vietnam, Watergate-Affäre) abzulenken, kam es der Nixon-Administration gerade recht, einen miesen kleinen Fellatio-Film, den die Columbo-Familie in sechs Tagen für 25.000 Dollar produziert hatte, verbieten zu lassen. Im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe beschreibt Stella, wie das Verbot des Films, den sich sonst kaum jemand angeschaut hätte, zum Geschenk einer zweiten Prohibition für die Mafia wurde: Deep Throat spielte geschätzt 600 Mio Dollar ein. Natürlich nutzt Stella das Terrain für etliche herrliche Einblicke in die verklemmt-enthemmte Triebwelt der Großstadt-Amerikaner Anfang der siebziger Jahre, in dem „Deep Throat“ auch der Deckname des Whistleblowers war, der Watergate enthüllte.
Johnny Porno ist Charlie Stellas erster Roman, der auf Deutsch erscheint, und wahrlich kein loop. So hießen die kurzen Pornofilm-Ausschnitte, die zwischen den großen Epen wie Deep Throat als Wichsvorlage in den Kaschemmen gezeigt wurden. Johnny Porno ist Mafiaroman in Superbreitwand: Stella ist ein Meister schneller Szenen und knapper Dialoge. Er schneidet bewusst unsauber, beleuchtet dieselbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln, schürt dadurch Leserteilnahme an den Sehnsüchten und Irrtümern der Figuren. So schnell läuft das durch, dass die groteske Komik der einzelnen acts oft erst später ins Bewusstsein dringt – etwa beim Atemholen.
Der 1956 in Manhattan geborene und in Canarsie aufgewachsene Charlie Stella hat eine wilde Vergangenheit, unter anderem als Buchmacher. Seine Straßen- und Lebenserfahrungen, nachhaltig inspiriert durch George V. Higgins, dessen Die Freunde Eddie Coyles auch Johnny Pornos Lieblingslektüre ist, und Elmore Leonard, brachte Stella zunächst auf’s Theater. Seit 2001 hat er acht Romane veröffentlicht und er wird in US respektvoll als „best writer of mobfiction“ tituliert.
Das ist der kleine Unterschied, Ihr Anti-Amerikaner: Hier gibt es einen Mob, den kaum jemand wahrhaben will, in den USA gibt es dazu noch hervorragende Literatur über ihn. Mehr davon wäre erzieherisch nützlich, unterhaltsam sowieso.
Als Hintergrundinformation für das wechselseitige Geben zwischen Staat und Mafia-Unternehmen sehr lesenwert: die Beiträge von Charlie Stella (Die Mafia in Amerika – die perfekte Fressmaschine im perfekten Umfeld, oder: Verbrechen lohnt sich) und Thomas Adcock (Die Unberührbaren) in Gohlis/Wörtche: Crime&Money
Charlie Stella: Johnny Porno
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf
hrsg. von Thomas Wörtche
Suhrkamp, 496 Seiten
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