Gary Victor, einer der schärfsten Kriminalschriftseller der Welt, ist unterwegs in Deutschland.
Sein Held Dieuswalwe Azémar lässt sich „nicht in die Knie zwingen.“ Niemals. Alles kann er ertragen, nur nicht Haiti. Im Grunde genommen alles, was Haiti unerträglich macht: die Korruption, die Bereicherungsgier der Herrschenden, die Duldsamkeit der Bevölkerung, die Verderbtheit seiner Behörde. Damit er Haiti ertragen kann, trinkt er, ein selbstzerstörerischer Heiliger der Gerechtigkeit. „Soro“ hieß der letzte Roman. Nach dem bitteren grünen Gift, das Dieuswalwe trinkt bis zum Umfallen. 2010 spielte der. Dieuswalwe vögelte gerade die Frau seines Chefs, da stürzte über ihm die Decke zusammen. Der Suff, dachte er, aber es war das Erdbeben.
In „Suff und Sünne“ liegt er wieder im Bett. Monster wie die Riesentarantel, die an seinem Fleisch knabbert, werden nicht vom Suff, sondern vom Entzug hervorgerufen. Auch die schöne Frau, die in seinem vollgekotzten Zimmer erscheint, ist keine Halluzination. Dieuswalwe bleiben nur Minuten, um sich in sie zu verlieben.
Sie will ihn erschießen. Denn er hat, wie die Bilder zeigen, die sie mitgebracht hat, ihren Vater liquidiert. Im Suff. Den brasilianischen Kommandanten der UN-Stabilisierungstruppen MINUSTAH und einzigen Mann, der gegen die organisierte Plünderung Haitis durch seine Truppen und lokale Gangster vorging. Sie schießt schneller als er sich rechtfertigen kann. Verletzt muss er fliehen, denn an die Tür pochen schon die UN-Truppen, die das Land kontrollieren. Er hört noch den Schuss, mit dem sie die Tochter des Generals liquidieren.
Allein, gejagt von den Qualen des Entzugs, den Besatzungstruppen und der eigenen Polizei, versucht Dieuswalwe klarzukriegen, was geschehen ist. Ja, er hat öffentlich gedroht, den General umzubringen, weil der ihm die Unterstützung gegen die Entführer seines besten Freundes, des Poeten Pierre Quartier, verweigerte. Aber hat er ihn auch erschossen? Dieuswalwe will das einzige verteidigen, was er hat: die beiden W in seinem Namen. Mit karibischem Stolz schreibt er ihn im einheimischen Kreol – denn auf Hochfranzösich ist sein Name der Hohn. Dieu soit loué, Gott sei gelobt. Sein ganzer Stolz: zwei W.
Der Mann muss fliehen, um seine Ehre zu retten. Und um Sühne zu leisten.
Seine Tochter wird entführt, auch der Sohn eines Industriellen. Den muss er befreien, will er seine Tochter retten. Obwohl er weiß, dass er nur einem weiteren Monster aus der herrschenden Klasse Raum zum Leben gibt. Derart sind die moralischen Konflikte eines aufrechten Mannes im korruptesten Land der Welt.
Ich bin gespannt, seinen Erfinder kennen zu lernen. Er müsste kochen vor Zorn, auch hier im kühlen Europa.
Gary Victor: Suff und Sühne
Aus dem Französischen von Peter Trier
Litradukt, 156 Seiten
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