Leute, es gibt wieder Champagner.
Man kann ihn nicht immer trinken, aber wenn es welchen gibt, dann sollte man ihn saufen. UNTER DEM AUGE GOTTES ist Champagner. Wie alle zehn anderen Romane um Isaac Sidel zuvor.
Es ist die Zeit nach den Wahlen und vor der Amtseinführung des Präsidenten. 1988 in Jerome Charyns Fiktion, ein Jahr vorm Ende der Reagan-Administration in der Realität.
Die Bronx war damals eine Wüste, es sah aus wie nach Bombenangriffen. Von „Dünen“ scheibt Charyn. Sidel ist noch Mayor, Bürgermeister von New York. Er und der zukünftige President Michael J. Storm haben die Präsidentschaftswahl gewonnen, aber noch sind sie nicht ins Amt eingeführt. Da entdeckt Sidel, dass in der Bronx das Militär eingezogen ist. Wie im Mittelalter, als die Könige ihren rebellischen Städten Burgen und Besatzungstruppen aufoktroyierten. Das will Sidel verhindern. Dazu tut er sich mit David Pearl zusammen, der einst den größten Mann der kosher nostra Arnold Rothstein beerbte. Pearl, der mächtigste Ganove der Welt, haust unterm Dach des Ansonia-Hotels, ein alter Mann in Pantoffeln und schlabbrigem Pullover. In einem Museum für Inez, die vor vierzig Jahren verstorbene Geliebte Rothsteins, hält er eine neue Inez. Isaac verliebt sich in sie und ihre silbernen Haare. Auch sie ist keine Zuflucht und keine Hilfe für den Mann mit der Glock im Hosenbund, der die Bronx retten will. Umgeben von FBI-Leuten, die ihn vielleicht erschießen werden, und angegriffen von gedungenen Mördern zieht Sidel nach Texas. Von dort kommt Mr. Mars her, der Verteidigungsminister, der ihm seine Bronx nehmen will.
Niemandem kann er trauen, nicht einmal den Walnußplätzchen seiner Lolita Marianna, der Tochter Storms, die auf Isaacs Schoß sitzen sollte, aber aus Schicklichkeit von ihm ferngehalten wird.
Es ist ein wunderbarer Kampf, den Sidel mit Tränen, Glock und Cop-Intuition führt, wunderbar im Charyn’schen Sinne.
Ein grandioses Buch, mit allem, was wir an Charyn lieben: die auch mit detektivischen Mitteln nicht mehr auflösbare Verquickung von Stadtgeschichte, Gossip und Mythos, die dubiosen, wie in Fliegenflügel gekleidet schillernden Figuren (so David Pearl, Sidels Förderer und schlimmster Feind), das wilde Flackern der Emotionen, die wie Nordlichter epochale Form und Größe annehmen.
2010 hat der Rotbuch-Verlag, der lange Zeit Jerome Charyns deutscher Verlag war, die ersten vier Romane um Sidel als Isaac-Quartett veröffentlicht. Ich habe dazu ein Nachwort geschrieben, das jetzt, um Charyn zu ehren, auf meiner Homepage nachzulesen ist.
Jerome Charyn: Unter dem Auge Gottes
Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Bürger
Penser Pulp bei Diaphanes, 286 Seiten
Penser-Pulp-Herausgeber Thomas Wörtche versichert in seinem Nachwort, Unter dem Auge Gottes sei erst der Einstieg in die Pflege des großartigen Werks von Charyn. Auch wir werden gerne ein Auge drauf haben.
Ich hatte Gelegenheit, kurze Zeit später Charyn in New York zu besuchen.
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