Eine Entdeckung und ein Debüt auf Deutsch: Lisa McInerney.
Die Juroren, die 2015 Glorreiche Ketzereien mit dem Desmond-Elliot-Prize für den besten Debütroman auszeichneten, wussten, was sie taten. Indeed, dieser Roman verbindet „Breite und Tiefe in einer fesselnden Erzählung“, wie die Regularien fordern. Und erhielt gleich noch dazu den angesehenen Women’s Prize for Fiction für den besten englischsprachigen Roman. (Wann werden in D-schland wohl Kriminalromane große Literaturpreise bekommen?)
Die 1981 geborene Lisa McInerney begann als Bloggerin und mit Kurzgeschichten. Glorreiche Ketzereien ist ein groß(artig)er Roman, glänzend übersetzt von Werner Löcher-Lawrence. Er beginnt mit einem stumpfen Schlag.
Die 59-jährige Maureen hat einen Einbrecher mit einer ihrer Devotionalien, einem Heiligen Stein, erschlagen. Sie hat damit kein Problem, wohl aber ihr unehelich geborener Sohn Jim. Der Gangster, einer der Bosse von Cork, hat seine Mutter aus London, wohin sie als gefallenes Mädchen verschoben wurde, wieder zu sich geholt und in einem ehemaligen Bordell am Hafen untergebracht. Um Peinlichkeiten zu vermeiden (Gangster, die sich als ehrbare Kaufleute ausgeben, haben keine unehelichen mordenden Mütter) lässt er den Leichnam des Einbrechers von einem anderen Loser beiseite schaffen. Dieser Tony Cusack und sein 15-jähriger Sohn Ryan bilden die zweite Familienachse des Romans. Um diese beiden Achsen kreiseln drei weitere Frauen: eine koboldhaft-schnurige Nachbarin der Cusacks, eine Prostituierte und frühere Geliebte des erschlagenen Einbrechers sowie Ryans Freundin. Sie alle sind durch Familienbande, Liebesbande, Drogenbande, vor allem aber durch einen Komplex aus Fluchtversuchen, Demütigungen und Erlösungssehnsüchten mit- und ineinander verwickelt.
Cork, die zweitgrößte Stadt Irlands, entpuppt sich selbst als Insel aus Vorurteilen, Bigotterie, Scham und Angst, von der niemand entkommen kann. Auch nicht der wohlhabende Gangster oder der talentierte Musiker Ryan.
In einer drastischen, zugleich bildhaften und poetischen Sprache gibt McInerney dem literarisch abgelutschten kriminologischen Terminus domestic violence tieferen, anschaulichen Sinn: In einer derart moralisch verkorksten Gesellschaft ist jedes Haus vollgestopft mit Gewalt, die häusliche wird nacherlebbar als Keim der strukturellen Gewalt, die das arme Irland so heftig gebeutelt hat.
Im Unterschied zur Welle der Girl-Romane ergeht sich McInerney weder im Ausmalen weiblicher Rache-Fantasien gegen kleinzukriegende Machos oder Macho-Bilder noch schwimmt sie in den Unklarheiten traumatisierter weiblicher Opfer. Sie beschreibt Gesellschaft, unideologisch, unverbrämt, empört über jede Art von Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Dass dabei die Kirche als Organisierte Machogewalt das Hauptfett abkriegt, hat sich die irische selbst zuzuschreiben.
Hier meine begeisterte Rezension vom 29.6. auf Deutschlandfunk Kultur.
Lisa McInerney: Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Schreibe einen Kommentar