Astrid Paprotta zitiert Brecht und schreibt Mit FEUERTOD einen lohenden Kriminalroman
Es riecht nach verbranntem Menschenfleisch. Und nach Klassenhass. Am Abend, der Ellen Rupps letzter sein wird, erblickt sie im Vorbeifahren auf einem Plakat ihr Gesicht. Die Augen sind ausgekratzt, „Miststück!“ ist darüber geschmiert. Das Plakat wirbt für ihren Vortrag zum Thema „Keine Angst! Sichere Stadt.“ Mit ein, zwei Sätzen ist die Szene zu einem der besten Kriminalromane angerissen, den ich in den letzten Monaten gelesen habe. Astrid Paprotta, ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis 2005 und dem „Glauser“ 2006, hat sich mit Feuertod selbst übertroffen.
Als Rupp, genannt „die Ruppige“, verbrannt neben dem verkohlten Leichnam ihres jugendlichen Liebhabers aufgefunden wird, vermutet die Polizei einen Racheakt. Von Hartz-IV-Empfängern oder Mehrfachstraffälligen zum Beispiel, denen die Politikerin elektronische Fußfesseln anlegen wollte, um sie bei gemeinnütziger Arbeit überwachen zu können. Oder von entlassenen Angestellten, die die Wirtschaftsanwältin von Detektiven ausspionieren ließ, um sie bei Arbeitsrechtsprozessen in Misskredit zu bringen. Aha, mitten im gemeinen, lustigen Aufschwung sind wir. Denkste.
Es scheint nur so, noch dann, als ein weiteres Haus brennt, ein ordinäres Mietshaus, das einer Investorengruppe im Wege steht. Fünf Tote, darunter ein Versicherungsangestellter namens Brecht. Der war den Ursachen eines anderen Brandes vor zehn Jahren auf die Spur gekommen. Doch das, wie so vieles andere, weiß zunächst keiner. Paprotta erzählt nicht aus der Perspektive ihrer staatlichen Ermittler. (Kommissarin Ina Henkel ist nach vier fulminanten Romanen auf einem Verwaltungsposten ruhiggestellt.) Niklas und Potofski, so heißen sie, spielen nur am Rand eine Rolle, in den Zonen, wo die Justiz ihre Irrtümer begeht. Systembedingt verstehen sie nichts. Denn dort, wo die Triebkräfte für den Feuermord, für das fortgesetzte Niederbrennen-Müssen und Auslöschen anderer Menschen herkommen, gelangt der normale Menschenverstand nicht hin, sei er noch so kriminalistisch, misstrauisch oder einfühlsam.
Als freundlich-knurrige Protagonisten des common sense sind die Kriminalisten allemal denen unterlegen, die sich in etwas verbissen haben. So jemandem wie dem Privatschnüffler Moritz Blume, der überlegt, wieviel Euro er für seine Niere erzielen kann, wenn die Aufträge ausbleiben. Zu den Verbissenen gehört auch Friseur Czerny, eine von Paprottas wunderbar luftigen Figuren. Czerny träumt von einem mondänen Salon, in dem er die Hautevolee frisieren kann, verbrennt beinahe in einem die vielen Brände dieses Romans, und kriegt dann doch sein Geschäft. Die Besessenen, die Umtriebigen, das sind die, die durchs Feuer gehen. Oder gegangen sind wie Anna Westheim, die Anwaltskollegin der toten Rupp. Sie ist eine Kämpferin, eine Verbrannte, die niemals aufgibt. Für sie scheinen die Gedichtzeilen Brechts geschrieben zu sein, die dem stillen Blume nicht aus dem Kopf gehen: „Lasst euch nicht verführen/ zu Fron und Ausgezehr! Was kann euch Angst noch rühren?/ Ihr sterbt mit allen Tieren/ und es kommt nichts nachher.“ Anna Westheim ist ein Salamander, der geläutert aus dem Feuer aufersteht, nicht böse, nicht gut, aber zu allem entschlossen. Puh! Wie in Sterntaucher dringt Astrid Paprotta in jene Zonen des Wahns vor, aus denen Mord entsteht. Doch anders als dieses dunkle Gesellenstück ist Feuertod von Lebenskraft, ja -erfüllung durchdrungen. Heller ist Feuertod sowieso — nicht nur durch das Motiv des Feuers, das leuchtet und verkohlt. Sondern auch durch die tänzerische Beweglichkeit der Figuren, durch den satirischen Witz, durch den Wirbel irritierender Einfälle, durch die Rasanz des Plots. Astrid Paprotta ist eine — ich wiederhole es — Verwandte der großen Highsmith.
Unredigiertes Manuskript Veröffentlichung in DIE ZEIT Nr. 31 vom 26.7.2007; auf der KrimiWelt-Bestenliste Juli bis September 2007
Astrid Paprotta: Feuertod
Piper, 2007, 315 Seiten