Parker Bilal mixt in LONDON BURNING Soziologie und kriminalistische Ermittlung
Bei Parker Bilal bleiben Polizisten nicht lange im Dienst. Seine erste Serienfigur Makana, die er in insgesamt sechs Kriminalromanen durch das Kairo der Arabellion schickte, war Privatdetektiv, aus dem Polizeidienst des Sudan ausgeschieden, als die Islamisierung des Staatsapparats überhand nahm. Leider erschien nur einer dieser hochinteressanten Titel 2012 auf Deutsch: DIE DUNKLEN STRASSEN VON KAIRO.
Jetzt wagt Parker Bilal einen Neustart mit einer Serie, die in London spielt. Hauptbesetzung: ein Detective Sergeant mit englisch-arabischem Background aus der Unterschicht und eine adlige Profilerin iranisch-englischer Abstammung. Im ersten Band LONDON BURNING funktioniert das (TV-) serienkompatible Duo ganz gut und wächst zusammen in der Ablehnung der politischen Spielchen des Polizeiapparats. Am Ende überlegen Calil Drake und Rayhana Crane, sich als Privatdetektive zusammenzutun.
Knapp 500 Seiten Stoff bietet LONDON BURNING, und eine Nebenhandlung um den Brand in einer Moschee untermauert den verlegerischen Versuch, Parker Bilal erneut, diesmal mit englischem Titel, im deutschen Krimimarkt zu etablieren. Der es dem Publikum nicht gerade leicht macht, anspruchsvollere Kriminalromane zu entdecken. Da könnte Parker Bilal Vorreiter werden, mischt er doch – nicht durchgängig mit der Kürnote 10 – spannende Soziologie und kriminalistische Ermittlung.
Krass gegenüber stehen sich am Themse-Südufer das Luxuswohnungsprojekt der „Magnolia Quays“ und die im Stil des 70er-Jahre Beton-Brutalismus zusammengeklotzte Siedlung, die für ihre Bewohner mit unterschiedlicher migrantischer Geschichte zur „Freetown“ geworden ist.
Den Auftakt der sich immer weiter spannenden Erzählstränge bietet der Mord an der Frau eines Immobilienmoguls und an einem japanischen Philanthropen. Scharia-ähnlich gesteinigt liegen sie unter einer LKW-Ladung Bauschutt. DIVINITIES – Gottheiten – lautet der anspielungsreiche Originaltitel. Und streift neben Allah auch weniger spirituelle Götter, etwa die Sicherheitsfirma „Deorum Risk Strategies“.
Am interessantesten fand ich das Motiv der Perversion eines geerbten Traumas: Abel, der zum Mörder wird, weil er nicht Kain sein kann. Vielleicht wird es Parker Bilal im zweiten Roman der Serie noch besser gelingen, das Große (sozio-kulturell-politische) mit dem alltäglichen Kleinen der Ermittlung zusammenzubringen.
Dann käme er seiner Idee einer populären realistischen Literatur, die sich aus dem Erfahrungsreichtum verschiedener Kulturen speist, noch näher als in diesem Erwartungen weckenden Neustart.
Parker Bilal: London Burning
Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer
Rowohlt, 494 Seiten
LONDON BURNING stand auf der Krimibestenliste September 2020
Dieser Beitrag ist leicht verändert in den LITERATURNACHRICHTEN 2-20 als Beilage „Afrikanische Literaturen“ in der taz vom 30.9.20 auf Seite 4 erschienen: