Die Krimibestenliste im August: sieben neue Kriminalromane aus Berlin, Buenos Aires, der Eifel, South Australia, Glasgow, Sibirien und Montevideo
Dass die Krimibestenliste eine internationale Veranstaltung ist, steht seit dem Gründungsjahr 2005 fest. Aber wie lange muss man zurückgehen, um einen Monat wie diesen zu finden: Sieben neue Titel aus vier Kontinenten.
Es gäbe ungeheuer viel zusammenzufassen, zu ergänzen, aber bei der Menge müssen Sie sich schon mal selbst durch das PDF der Liste wurschteln. dafür mache ich mir ja die Arbeit, jedes neue Buch auf der Liste (nur 2351 Seiten zusammen diesmal) zu lesen und für Sie mit einem Kommentar von ca. 300 Zeichen zu versehen.
Aber es gibt schon noch ein paar Bemerkungen zu machen: etwa über Dörfer.
Max Annas‘ DER HOCHSITZ wie auch Garry Dishers BARRIER HIGHWAY spielen auf dem Lande in so abgelegenen Regionen, dass die Autoren die Orte nicht benennen, um dort wieder hinfahren zu können ohne verprügelt zu werden. Das Dorf, in dem die elf-jährigen Detektivinnen Sanne und Ulrike ihre Nase in die Geheimnisse der Erwachsenen stecken, auch wenn sie nicht alle begreifen, liegt an der Grenze zu Luxemburg. Wir wissen auch nur, dass „Tiverton“ in South Australia liegt und können durch Kartenstudium vermuten, dass die Dishers Provinzstadt „Redruth“ mit dem realen Ort Burra Ähnlichkeit hat.
Die Landschaften spielen eine erhebliche Rolle bei beiden, und weder das im Winter saukalte Minen- und Schafzuchtgebiet Dishers noch Annas‘ bewaldetes, von Bächen und Flüssen durchzogenes Eifelgrenzgebiet wird man nach der Lektüre so schnell wieder vergessen.
Landschaft gibt es auch in Martin Cruz Smith‘ neuntem Arkadi-Renko-Roman DIE SPUR DES BÄREN, und zwar reichlich. Wie kommt ein an Parkinson erkrankter End-Siebziger aus Nordkalifornien in das von Permafrost, fossilen Energieträgern und riesigen Bären reiche Sibirien? Cruz Smith hat sich seit seinem sensationellen Erfolg GORKI PARK von 1981, der ihm den Status „persona non grata“ in der damaligen UdSSR eintrug, einen Stamm von Vertrauensleuten herangezogen, die ihn über die Geschehnisse im fernen, beinahe unerreichbaren Osten auf dem Laufenden halten. Wo er nichts zu sagen hat, schweigt er. Das macht DIE SPUR DES BÄREN zu einem wunderbar schnellen, lakonischen und witzigen Roman – allen Jungautoren zur Trainingslektüre empfohlen. Lässig auch seine Schilderung des sibirischen Schamanen, auf den Renko irgendwo hinter dem Baikalsee stößt: Cruz Smith hat familiäre Wurzeln in der indigenen Pueblo-Kultur und ist daher mit animistischen Praktiken vertraut. Davon zeugt sein früher Roman SCHWINGEN DER NACHT von 1977 – sehr empfehlenswert!
Großstadtromane grotesk hingegen sind CRASH von Susanne Saygin und Mercedes Rosendes DER URSULA-EFFEKT. In diesen grellen Karikaturen perverser Metropolen kommen recht wilde feministische Sichtweisen zum Tragen.
Nachdenkenswert ist Eloísa Díaz‘ 1981 (übrigens nicht der einzige historische Roman auf der Liste!): Die Parallelen zwischen Militärdiktatur 1981 und Aufständen gegen Teuerung sowie Despotismus praktisch der gleichen herrschenden Klasse zwanzig Jahre später werden von Díaz in die Konflikt- und Leidensgeschichte der Familie des Inspektors Alzada zurückwickelt wie ein Geschichts-Wrap. Dass der Kriminalfall von 2001 zwar andeutungsweise gelöst wird, aber für die Konfliktlage des Romans nicht die zentrale Rolle spielt, sondern eben die nach und nach aufgedröselte Familienverstrickung, ist den Kritikern, die 1981 als Krimi verrissen haben, entgangen.
Was aber die Lektüre stört, sind die aus dem englischen Original als „Authentizitätsnachweis“ übernommenen spanischsprachigen Einsprengsel. Da haben die (englischen und deutschen) Lektoren wohl vergessen, dass ein Erzähler in Argentinien seine Muttersprache beherrscht und zu sich selbst in der Übersetzung nicht „si“, sondern „Ja“ sagt und nicht „comprende?“ sondern „verstanden?“.
Noch eine letzte Bemerkung: Mein Kommentar, Liam McIlvanneys EIN FROMMER MÖRDER sei so etwas, wie Liams „großer schottischer Polizeiroman“, ist durchaus ernst gemeint: Lesen Sie Papa William McIlvanneys bei Kunstmann wieder herausgegebene Romane, Denise Mina (Zerfall und Umbruch Glasgows, Klassengegensätze) und Ian Rankin (Serienmörder Bible John) – und sie staunen über die Masse von Themen und Anspielungen, die Liam zu etwas ganz eigenem verarbeitet.
Übrigens auch das in einem historischen Umfeld. Irgendwie waren die 70er und 80er Jahre bessere Zeiten für harte Stoffe.
Die Krimibestenliste August ist seit Freitag, dem 6.August, bei Deutschlandfunk Kultur online und kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Außerdem finden Sie die aktuelle Krimibestenliste im crimemag. Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, sondern auch die Veränderungen und oft auch einzelne Bücher engagiert kommentiert. Und bereits am Freitag morgen habe ich den höchsten Neueinstieg in der Augustliste im Deutschlandfunk besprochen: Susanne Saygins CRASH.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!
Ihr Tobias Gohlis
Ute Neumann meint
Hallo lieber Tobias,
herzlichen Dank für die tollen Inspirationen!
Ein kleiner Hinweis: Im vorletzten Absatz sollte sicherlich August statt Juni stehen und im letzten Absatz fehlt vor Augustliste ein Leerzeichen – ich weiß, ich bin ein bisschen pingelig
Liebe Grüße von einer treuen Leserin
Ute
Michael Opitz meint
Hallo Ute!
Hinter Ihrem Satz, der mit „ein bisschen pingelig“ endet, fehlt ein Punkt.
Freundliche Grüße aus Düsseldorf,
Michael
Tobias Gohlis meint
Liebe Ute,
Sie haben Recht, und zurecht fordern Sie Genauigkeit, aber Sie können sich vorstellen, dass Past&Copy die größten Feinde sind.
Ute Neumann meint
Ich weiß, deshalb sollte es auch nur ein zarter Hinweis sein
Und das mit dem Punkt tut mir aufrichtig leid („blush“). Wie konnte ich nur …
Herzliche Grüße und ich freue mich schon auf die Septemberliste!
Tobias Gohlis meint
Liebe Ute,
die Septemberliste kommt am 3.9. und enthält 7 neue Titel!
LG Tobias Gohlis