Die Krimibestenliste startet im Januar 21 mit drei Frauen an der Spitze und sieben neuen Romanen
Unerschüttert vom Sturm auf’s Kapitol und vom Lockdown startet die Krimibestenliste mit sieben neuen Titeln ins Jahr 2021.
Nicht leicht zu erkennen: Sechs der Autoren sind weiblich, eine versteckt sich unter dem männlichen Pseudonym Robert Galbraith, eine unter dem Pseudonym Nicci French, das sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French gewählt hat. Nur zwei/drei der neuen Autoren sind männlich – ausgewählt übrigens von einer Jury aus fünf Frauen und dreizehn Männern.
Bis ins Jahr 2015 müssen die Krimihistoriker zurückgehen, um eine Krimibestenliste zu finden, deren erste drei Plätze von Frauen besetzt waren. Dieses Ereignis wird mit dieser Krimibestenliste Januar wiederholt.
Noch eine Besonderheit: von den sieben neuen Titeln sind sechs ursprünglich in englischer Sprache verfasst, stammen allerdings aus fast allen Erdteilen. Die Australierin Candice Fox siedelt ihre rabiate Frauenaktion in Kalifornien an, der Ire Tim MacGabhann seinen Debütroman in Mexiko, wo er jahrelang als Journalist gearbeitet hat.
Ganz selten: ein Roman aus Tschechien. Iva Procházková verleugnet in DIE RESIDENTUR ihre Herkunft aus dem Jugendroman nicht, in dem es viel um Familienstrukturen und missverstandene Jugendliche geht, zeichnet aber trotz einiger Umständlichkeiten ein deutliches Bild neuer tschechischer Unterwürfigkeit. Dieser Roman ist ein Beispiel dafür, was wir mit „interessant“ meinen: nicht perfekt, quer zum internationalen Mainstream, eine eigene Stimme.
Noch ein Wort zu Robert Galbraith/J.K. Rowling: Die Shitstorms um diesen Roman (vereinfacht: Galbraith wurde Verachtung von Transpersonen vorgeworfen, weil sich bei ihr ein Serienkiller Frauenkleider anzieht, um seine weiblichen Opfer einzulullen) haben viel mit dem Celebrity-Status der Autorin und der reziproken Geltungssucht ihrer Angreifer zu tun, aber nichts mit dem Roman selbst. Wenn überhaupt ist die ohnmächtige Wut, mit der über Rowling hergefallen wurde, aus einem herrlich satirischen Kapitel über jugendlich radikale Identitätspolitiker zu verstehen, in dem ein Denken durch Rotwein und Whiskey gezogen wird, das glaubt, durch hyperkorrekte Sprachregelungen würden bereits die Verhältnisse geändert. Nein, dies ist ein altmodisches, aber auf seine Façon herrvorragend geschriebenes Buch, in dem praktisch jeder sein Fett wegkriegt, denn Rowling/Galbraith gehört zur Gruppe jener Skeptiker, die den Menschen nichts Gutes zutraut, aber umso aufmerksamer nach jedem kleinen Lichtschein sucht. Im Unterschied zu vielen Krimiautoren, die industriell „Spannung“ produzieren, hat Galbraith was zu sagen und zu erzählen. Die Auflösung wird viele überraschen.
Noch eine Rarität: Samantha Harveys WESTWIND ist ein kleines Wunder an Kunstfertigkeit, Figurenpsychologie und historischer Zeichnung. Ein leuchtendes Beispiel jener kulturgesättigten, klugen Kriminalromane britischer Provenienz, die ein bisschen aus der Mode sind, leider. Hier die Rezension von Sylvia Staude.
Die Krimibestenliste Januar finden Sie bei Deutschlandfunk Kultur hier und als PDF zum Ausdrucken hier.
Bleiben Sie uns gewogen. Und wenn Sie die nächste Krimibestenliste oder andere Beiträge von mir nicht versäumen möchten, abonnieren Sie bitte meine Homepage.
Ein besseres Neues Jahr! Ihr Tobias Gohlis
C. v. Reinhardt meint
Vielen Dank, lieber Tobias Gohlis !
Anna Paffenholz meint
Lieber Herr Gohlis, vielen vielen Dank dafür, dass Sie die Krimibestenliste weiter am Leben erhalten, die mir seit Jahren schon immer wieder wunderbare, interessante und spannende Leseerlebnisse beschert und mich davor bewahrt, mich durch die Krimi- Konfektionsware lesen zu müssen.
Mit vielen Grüßen Anna Paffenholz
Peter Hammans meint
Hallo Tobias,
in Sachen Rowling/Galbraith kann ich dir nur vehement zustimmen. Diese geltungssüchtigen Sprachpolizisten mit Gender-Sheriffstern sind die Pest. Offensichtlich hat keiner von ihnen, dafür sind sie zu jung und unbedarft, wenn auch eingebildet, mal „Dressed to Kill“ (1980) von Brian de Palma gesehen, einen der maßgeblichen Psychothriller der Achtziger. Dort verkleidet sich in bester Hitchcock-Manier der Psychiater (Michael Caine) als Frau, um seine Opfer zu täuschen. Ist das transphob? (Den Begriff gab es damals überhaupt nicht.) Oder is es eine Reverenz an die Travestie?
O sancta simplicitas!
Yours
Peter
Schon vor der Veröffentlichung
Bernhard Krämer meint
Hallo Herr Gohlis,
da bin ich ja froh, dass sie Frau „Galbraith“ in Schutz nehmen.
Ich hatte mir den Roman nämlich schon vor dem Erscheinen in Deutschland bestellt, da mir die 4 ersten Werke mit dem Ermittlerduo Strike/Ellacott sehr gut gefallen haben.
Gelesen ist er noch nicht, freu mich aber jetzt umso mehr drauf.
Viele Grüße,
Bernhard Krämer
C. Blomberg meint
Auch von meiner Seite ein sehr großes ‚Dankeschön‘ für die Liste, die im Laufe der Jahre für volle Bücherregale, immer gute Unterhaltung und so manche besonders schöne Entdeckung gesorgt hat. Völlig unverständlich für mich das Ausscheiden der FAZ aus dem Listenprojekt, denke das wird der Zeitung zum eigenen Schaden gereichen. Diese ganze Diskussion um ‚Galbraigth‘ ist für mich absurd. Die Rezension des Buches indes hat mich so neugierig gemacht dasss ich es lesen werde. Davon ab interessiert mich das Geschlecht der Autoren/Autorinnen nicht, war z.B. bei Highsmith oder Christie so, ist heute auch so. Letztlich zählt der Inhalt, auch für eine Rezension.
Tobias Gohlis meint
Danke C. Blomberg!