Die Krimibestenliste im Oktober: sechs Neue aus fünf Ländern
Dies ist wieder eine Krimibestenliste mit zwei Garry Dishers. Der Australier wird schon seit Jahren von zwei deutschsprachigen Verlagen vertrieben: vom Unionsverlag in Zürich und von Pulp Master in Berlin. Erstaunlicherweise kommt es immer mal wieder vor, dass sich zum Vergnügen seiner Leser zwei seiner Romane auf einer Krimibestenliste treffen.
Staunenswert die Vielfalt seines Schreibens: In MODER action-orientierte Sachlichkeit, mit der der Verbrecher Wyatt, leider immer erfolglos, endlich zu ausreichend Knete kommen will. In BARRIER HIGHWAY ausgebreitet die Vielfalt menschlicher Verstrickungen, denen Landpolizist Hirschhausen auf die Schliche kommt.
Auf der Krimibestenliste Oktober finden sich Protagonistinnen, so unterschiedlich wie das Leben selbst.
Ivy Pochoda, aus Brooklyn stammend, schreibt mit bisher drei Romanen an einem feministischen Porträt ihrer Wahlheimat Los Angeles, von denen DIESE FRAUEN bisher der erzählerisch gelungenste ist. Es geht um die Lebensumstände jener Menschen, für die im „alten, diskriminierenden Code NHI – no human involved – des LAPD für getötete Prostituierte, Drogenabhängige und Gangmitglieder“ benutzt wurde. Katrin Doerksen, neues Mitglied unserer Jury, hat in der FAZ, nachzulesen hier, herausgearbeitet, wie es Pochoda gelingt, sie aus der Perspektive von gleich sechs Protagonistinnen sichtbar zu machen.
Dass Andreas Pflüger Heldinnen bevorzugt, wissen wir seit seiner Trilogie um Jenny Aaron. Doch die Deutsch-Amerikanerin Paula Bloom, Protagonistin seines historischen Romans RITCHIE GIRL ist zwar ausgebildete Agentin – Verhörspezialistin – , aber eine zutiefst verunsicherte Frau, die zunächst auf dem italienischen Kriegsschauplatz, dann hauptsächlich in der Umgebung des US-Hauptquartiers in Frankfurt, zwischen Spionen, Kriegsverbrechern und alten Nazis, die sich der CIA als neue Kalte Krieger andienen, nach einem moralischen Kompass sucht. Und nach ihrem Jugendgeliebten aus Berlin, der vielleicht den Krieg überstanden hat. Pflüger hat aus Fakten und Fiktion ein ziemlich finsteres Bild jener unmittelbaren Nachkriegszeit geschaffen, in der die deutsch-amerikanische Freundschaft zusammengeklumpt wurde.
Fakten und Fiktion verknüpft auch Hannelore Cayre in ihrem halb in den Jahren 1870/71 (deutsch-französischer Krieg, Pariser Kommune), halb heute spielenden Politmärchen REICHTUM VERPFLICHTET. Eine von Thomas Piketty inspirierte Attacke gegen das alte und neue Finanzkapital, ausgeführt von Blanche de Rigny, einer verkrüppelten Justiz-Sachbearbeiterin, der es gelingt, an Milliarden zu gelangen (im Unterschied zu Wyatt) und diese auch noch sinnvoll einzusetzen.
Nicht ins bisher verfolgte Protagonistinnen-Schema passen zwei weitere Titel, die neu auf der Krimibestenliste sind.
Die Irin Tana French, längst zu einer ganz eigenständigen Größe der (Kriminal-)Literatur ausgewachsen, versetzt uns diesmal in den feuchten, wilden Westen Irlands. Wo Cal Hooper, Ex-Detective aus Chicago, seinen Ruhestand genießen und das erlernte detektivische Misstrauen unter trinkenden Männern hinter sich lassen will. Klappt nicht, denn Trey, ein 13-jähriger Kobold, zwingt ihn in DER SUCHER, das Verschwinden seines Bruders aufzuklären.
Und last but not least ist wieder auf einen dieser knappen, durchgestylten Romane von Altmeister Frank Göhre zu verweisen: DAS GELD, DIE STADT UND DER TOD ist ein Porträt noir Hamburgs. Im Filz der sich so vornehm und edel gerierenden Hansestadt findet der rumänische Radu-Clan das geeignete Biotop für seine kriminelle Expansion. Deutschland im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends: nicht weit entfernt vom Paris des 19. Jahrhunderts.
Die Krimibestenliste Oktober ist seit Freitag, dem 1. Oktober, bei Deutschlandfunk Kultur online und kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Außerdem finden Sie die aktuelle Krimibestenliste im crimemag. Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, sondern auch die Veränderungen und oft auch einzelne Bücher engagiert kommentiert. Und bereits am Freitag morgen hat Katrin Doerksen den höchsten Neueinstieg in der Oktoberberliste im Deutschlandfunk besprochen: Garry Dishers MODER
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!
Ihr Tobias Gohlis
Mirko Braun meint
Lieber Herr Gohlis,
vielen Dank für die neue Krimibestenliste Oktober 2021, die ich wie jeden Monat wieder mit großem Interesse studiert habe und die wieder viele spannende Leseanregungen enthält.
Einen kleinen redaktionellen Hinweis zur pdf-Liste kann ich mir jedoch nicht verkneifen: Beim Titel des neuen Romans von Frank Göhre scheint im pdf-Dokument die Reihenfolge etwas „verrückt“ zu sein. Korrekt müsste es lauten „Die Stadt, das Geld und der Tod“.
Viele Grüße
Mirko Braun
Tobias Gohlis meint
Lieber Herr Braun,
was wäre die Krimibestenliste ohne ihre aufmerksamen Leser? Tatsächlich ist durch Ihre Anmerkung ein Fehler offenbar geworden: Trotz mehrfachen Korrekturlesens ist die Differenz zwischen den beiden Versionen PDF und DFKultur niemandem aufgefallen. Allerdings ist der Fehler diesmal nicht im PDF, sondern in der Webversion.
So oder so: Die Stadt, das Geld und der Tod ist absolut lesenswert.
Der Fehler bei DF Kultur wird schnellstmöglich korrigiert werden.
Beste Grüße und gutes Lesen
Tobias Gohlis