Vier Titel sind neu: je einer aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Frankreich.
Die Schauplätze: „W.“ liegt an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein, „Kymlinge“ mit seinem Vorort „Kvarnbo“ („Schwanzlos“ genannt, weil hauptsächlich von Frauen bewohnt), verschiedene reale Orte in Norbottens län; London, Sark, Northumberland, Ironbridge, französische Atlantikküste.
Angesichts des Großverbrechens Angriffskrieg, das Putin begeht, möchte man über Krimis schweigen. Seit drei Jahren und zehn Monaten.
An der Dezemberliste fällt wieder auf, dass und wie sich der Krieg ins kriminelle Geschehen drängt. In der Hälfte aller Romane ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Hintergrund, Auslöser oder Begleitgetös. Krieg ist eine Mutter aller Dinge, auch des Verbrechens. Entspechend der Lage ist der Hintergrund aller vier neuen Titel düster, das Weltbild der Autoren pessimistisch bis hoffnungslos, der Menschheit werden nur geringe Überlebenschancen eingeräumt.

Wieder Platz Eins im Dezember:
Weiterhin neu auf der Krimibestenliste Dezember:
5 Der Wortschatz des Todes
Der aus einer ungarischen Familie stammende Martin von Arndt ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als ziemlich genau vor einem Jahr Gärten der Trauer von Boston Teran auf der Krimibestenliste landete. Dieser Roman über einen Agenten, der einen anderen Menschen aus dem Genozidgeschehen an den Armeniern retten will, ließ mich nach anderen Kriminalromanen suchen, die diesen Völkermord thematisieren. Ich stieß auf Martin von Arndts TAGE DER NEMESIS von 2021, der beeindruckend die Jagd auf einige Hauptverbrecher behandelt, die sich ins Berlin der Zwischenkriegszeit verdrückt hatten.
Sein neuer Roman DER WORTSCHATZ DES TODES ist in jeder Hinsicht näher dran, dichter im Kriegsgetümmel. Der Titel ist ein Zitat des ostukrainischen Dichters Serhij Zhadan, der 2022 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und mit INTERNAT 2018 einen der ersten Romane veröffentlichte, der die Schrecken des Krieges aus der Perspektive der ukrainischen Angegriffenen schildert.
„Drei Atemzüge lang starrt er in das Chaos aus Glut und Qualm.“ Mit diesem ersten Satz eröffnet von Arndt eines von mehreren Szenarien, die die Realität des Krieges nicht in der Ukraine, sondern hier in Deutschland aufs Tapet rufen: Ein Anschlag auf das Haus von Identitären, Spionage und Mord von Putins angeheuerten Gesellen, die Zwickmühlen des Widerstands.
Von Arndt packt ein ganz klein bisschen zu viel in diesen Beginn einer Serie mit der Protagonistin Irina Starilenko, russische Dissidentin, ehemals Kommissarin im BKA und jetzt freiberufliche Detektivin für eine Wirtschaftsdetektei und ihrem Anwaltsfrischling Bergmann, der in DER WORTSCHATZ DES TODES seinen ersten Fall zu bearbeiten hat. Trotzdem: Sehr lesenswert.
7 Eines jungen Mannes Reise in die Nacht (Ung mans färd mot natt)
Anspielungsreich auch dieser Titel, erinnert Håkan Nessers EINES JUNGEN MANNES REISE IN DIE NACHT mindestens an zwei Texte der modernen Zivilisationskritik, an Eugene O‘Neills EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT und an Louis Ferdinand Célines REISE ANS ENDE DER NACHT.
In ihrer Besprechung macht Sylvia Staude deutlich, dass der Titel fast alles vorwegnimmt. Trotzdem habe ich – und werden Sie! – Nessers Roman mit Entzücken lesen. Denn obwohl sich darin fast ungebremst der Zorn eines alten Mannes ( ist 1950 geboren) über „testosterongesättigte Clowns wie Trump, Putin, Bolsonaro, Erdogan und andere“ Bahn bricht, obwohl die detektivische Aufklärung im Dunkeln endet, obwohl die Klage über all das „was die Menschen einander, ihren Artgenossen, ihren Schwestern und Brüdern während der unwiderruflichen Wanderung in Richtung Auslöschung antun“ unmissverständlich ist, ist die Grundhaltung des Romans leicht, in der Schwebe, als wolle Nesser durch seinen Pessimismus hindurch sagen: Leute, es steht auf der Kippe, es ist an Euch, ob meine Befürchtungen wahr werden.
Das ist mein Plädoyer für einen großartigen, starken Kriminalroman, der gegen die Schwärze der Welt und die innere Eigene selbst angeschrieben ist.
8 Der Tote mit dem Silberzeichen (The Hallmarked Man)
Bei diesem achten, immer noch nicht ganz ausgelesenen Cormoran Strike/Robin Ellacott-Wälzer (1247 Seiten!) habe ich mich immer wieder gefragt, wie die Autorin (jedermensch weiß, dass Robert Galbraith das Krimi-Pseudonym von Joanne K. Rowlings ist) das schafft, all die Haupt- und Nebenstränge, all die Irrungen und Wirrungen dieser zwar im 21. Jahrhundert lebenden, ununterbrochen auf ihren Smartphones tippenden Figuren mit ihren Konflikten aus dem viktorianischen Zeitalter nicht nur auseinanderzuhalten, sondern von ihnen auch noch so zu erzählen, dass man, sofern man nichts anderes zu tun hat, auch dieses Buch ungern aus der Hand legt (es sei denn, man kann physisch den Klopper nicht mehr halten).
Der Tote mit dem Silberzeichen ist eine einzige niedergeschriebene Serie mit neun oder zehn (wie gesagt: Ich bin noch nicht durch) Staffeln, in denen diese clevere Erzählerin es immer wieder schafft, neue Figuren und Konflikte zu generieren, ohne das große Ganze aus dem Auge zu verlieren.
Das wäre, wenn ich mich recht an den Anfang erinnere: Im Tresor eines auf Freimaurerobjekte spezialisierten Silberhändlers wird eine dermaßen zerstückelte Leiche entdeckt, dass man sie nicht identifizieren kann, selbst die Genitalien sind abgetrennt und weg. Eine wohlhabende, widerwillig den besseren Kreisen angehörende Frau beauftragt die beiden Detektive, zu beweisen, dass der Tote ihr Lover und damit der Vater ihres Neugeborenen ist. Andernfalls müsste sie sich eingestehen, dass dieser sie vor der Geburt seines Kindes verlassen hat.
Man könnte auch sagen, dieser Roman ist Variation und Fuge über die Themen: Schwangerschaft, unerfüllte Liebe, Lüge, Tod. Variiert unter anderem in der unendlichen Ebbe und Flut der uneingestandenen Liebe zwischen r und Robin. Jedenfalls eins wird in dem Ganzen klar: Im Vereinigten Königreich und darüber hinaus gibt es vielleicht maximal zwei anständige Menschen, und selbst die lügen sich fortwährend an oder in die eigene verklemmte Tasche. In so einer Welt möchte man nicht leben – weshalb der Weg der beiden Anständigen und Edlen gespickt ist mit Selbstmördern. Zum Glück ist dieses spätviktorianische Noir: Fiktion.
9 Die Eskimo-Lösung (La Solution Esquimau)
Zwar hatte Pascal Garnier, Musiker, Maler und Schriftsteller, schon mehrere Bücher veröffentlicht, aber Die Eskimo-Lösung war 1996 sein erster Kriminalroman. Um mit dem ersten anzufangen, ist es ein alter Trick (Simenon hat ihn z.B. angewendet, in dem er in seinem ersten Maigret vorgibt, als sei Maigret schon eine bekannte kriminalistische Persönlichkeit), so zu tun, als setze der Autor ein bestehendes eingeführtes Werk fort.
Im Fall des namenlosen Autors („Pierre“ ist nicht sein Name) ist es der Trick, so zu tun, als müsse er schon wieder einen leidigen Krimi zu Ende bringen. Eine Lektorin will endlich Text, er ist schon über den Abgabetermin hinaus usw.
Garnier schreibt zwei Romane: den Krimi des Autors, der gezwungenermaßen Seite um Seite wächst, und den Krimi, der aus dem Leben auf ihn überschwappt. Das Faszinierende: Die Fiktion, traditionell verstanden als phantasierendes Ausleben von Trieben, die in der Gesellschaft tabu sind, inspiriert den Autor, auch in seinem langweiligen Leben ein bisschen über die Stränge zu schlagen. Und dann ein bisschen mehr. Und noch mehr.
Dabei hilft, dass Romanfigur Louis, der nach und nach seine Mutter und dann die Eltern von Bekannten umbringt, um an das Erbe zu kommen, an der gleichen Krankheit wie der Autor leidet: dem Ennui, der Langeweile, dem Lebensüberdruss, der Angst zu versagen. Und aus diesem Ennui heraus lernen sie morden, ziemlich leicht.
Noch fühlen die Figuren Garniers sich in Die Eskimo-Lösung ein wenig schuldig, sind nicht so abgebrüht wie die seiner späteren Noirs, die Septime zuerst herausgebracht hat und die fast alle einen Platz auf den verschiedenen Krimibestenlisten der letzten Jahre gefunden haben. Aber sie sind in diesem Rohdiamant schon erkennbar. Ach, und was ist die solution esquimau? Sie müssen nur anfangen zu lesen, dann erfahren Sie es: auf Seite 8. Zum Eingrooven Thomas Wörtches Rezension.
Und wo gibt es die Krimibestenliste selbst?
Die KRIMIBESTENLISTE DEZEMBER ist seit Freitag, dem 5. Dezember 2025, auf Deutschlandfunk Kultur online. Ein zweiseitiges PDF kann dort heruntergeladen werden. Ein einseitiges PDF u.a. zum Aushang in Buchhandlungen gibt es auf meinem Blog Recoil sowie das Archiv aller Krimibestenlisten seit 2005.
Nach und nach werden fast alle Neuerscheinungen der Krimibestenliste in Deutschlandfunk Kultur, immer am Freitag morgen gegen 8.20 Uhr, rezensiert. Dort können Sie die Stimmen einiger Jurymitglieder vernehmen. Ausnahmsweise am Freitag, den 5. Dezember, hat Exjuror Thomas Wörtche über die Nummer eins der Krimibestenliste im Dezember DIE ESKIOMO-LÖSUNG gesprochen
Diese und kommende Rezensionen zu den Krimis der Bestenliste wie auch zu anderen Büchern sind auf der Deutschlandfunk-Seite Rezensionen des Monats nachzuhören und zu -lesen.
Das CulturMag präsentiert ebenfalls die Krimibestenliste Dezember nebst hochinteressanten Rezensionen.
Dank auch an die Redaktion von Weltexpresso, die jeden Monat nicht nur die Krimibestenliste abbildet, viele Bücher engagiert kommentiert.
Seien Sie gespannt auf unsere Auswahl der Auswahl, die KRIMIBESTENLISTE 2025, mit den 10 besten Krimis des Jahres. Die KRIMIBESTENLISTE 2025 wird am 19.12.2025 auf Deutschlandfunk Kultur veröffentlicht und an dem Freitag findet auch gegen 8:20 Uhr ein Gespräch über das Krimijahr statt.





