Reginald Hills DER WALD DES VERGESSENS weckt Zweifel am Königreich
Peter Pascoe, Chiefinspector von Superintendent Dalziels Gnaden, leidet, besonders in Gegenwart seiner geradezu unantastbar tadellosen Ehefrau, an einem sehr merkwürdigen und ihm auch nicht ganz verständlichen Minderwertigkeitskomplex. Während sie entschlossen, strahlend, ohne Zweifel an sich und ihren Fähigkeiten den Aufbau der kleinen Familie vorantreibt, empfindet er eine unbestimmbare Schwäche, ein Kränkeln seiner Väterlichkeit. Ihm kommt es vor, als sei in seiner Familie, die weit versprengt ist und kaum Kontakt untereinander hält, und damit auch in ihm der Wurm drin. „Familien sind eine ganz große Scheiße“, denkt er bei der Beerdigung seiner Großmutter Ada, der einzigen Angehörigen, die er einigermaßen ausstehen konnte.
Der Wurm, so könnte man einen Hauptstrang von Reginald Hills Der Wald des Vergessens zusammenfassen, steckt nicht nur in Pascoes Familie, sondern im britischen Militarismus und Klassensystem. Drei Generationen, bis in die Tage der Ersten-Welt-Kriegs-Massaker bei Ypern und noch weiter zurück reichen die Dokumente, die die Verstorbene hinterlassen hat. Darunter das Foto eines anderen Peter Pascoe, der 1917 wegen Feigheit vor dem Feind standrechtlich erschossen wurde.
Während der Chiefinspector sich auf den Spuren seiner familiären Vergangenheit verliert – gequält vom Makel der Feigheit – buddeln seine Kollegen in einem sumpfigen Kraterloch. Darin wurden Gebeine gefunden, mit einem Loch im Totenschädel. Sehr zum Bedauern des faulen Superintendents ist das Loch jünger als 60 Jahre und somit ein noch zu ermittelnder Fall. Wie Hill die erst ganz zum Schluss als zwingend erkennbare Farce dieser knochenharten Ermittlungen in der Gegenwart Mid-Yorkshires mit den zermürbend tragischen Ahnenforschungen Pascoes zusammenbringt – das ist schon sehr souverän ausgeführt.
Der Beitrag erschien in der Sommer-Literaturbeilage der ZEIT 2005; Der Wald des Vergessens stand im Mai und Juni 2005 auf der KrimiWelt-Bestenliste