James Lee Burke und Greg Iles über Louisiana/Mississippi nach dem Wirbelsturm Katrina
Der tropische Wirbelsturm Katrina knackste Amerikas Selbstgerechtigkeit an. Als die Naturgewalten über die Bruchbuden hinwegfegte, in denen die meisten normalen Menschen in den USA leben müssen, zeigte der Staat, was er kann und was er nicht kann. Im August 2005 verwandelte Katrina „die schönste Stadt der USA“ in einen stinkenden Sumpf aus Schlamm und Leichen. Allen Warnungen zum Trotz waren die Mississippideiche nicht gewartet worden und brachen, die Hilfsmaßnahmen für zehntausende Entwurzelte waren völlig unzureichend, Staatsorgane und Milizen, unter anderen der berüchtigte American Sniper“, schossen „Plünderer“ ab.
Solidarisch mit den Opfern reagierte die populäre Kultur: Die TVSerie Tremé oder Sara Gran in Stadt der Toten widersprachen dem rassistischfundamentalistischen Narrativ vom gerechtfertigten Untergang des Sündenpfuhls New Orleans und von der Verderbtheit der mehrheitlich armen afroamerikanischen Opfer.
In diese Kerbe eines pervertierten Moralismus haut auch James Lee Burke mit Sturm über New Orleans.
Burke lebt wie sein Alter Ego Dave Robicheaux in der pittoreskidyllischen Stadt New Iberia etwa 50 Kilometer nordwestlich von New Orleans. Robicheaux wird zur Unterstützung der überforderten Ordnungskräfte ins Katastrophengebiet abgeordnet. Der Text hält mit dem Entsetzen der Zeugenschaft die grauenhaften Szenen jener Tage fest: Schwarze Frauen, die auf dem Dach eines Autos um Hilfe rufen, bis sie ertrinken, Gefängnisinsassen, die in ihren Exkrementen stehen. Ein krebskranker Priester, Robicheaux‘ Freund, wird beim Versuch erschlagen, Gemeindemitglieder vor dem Ertrinken zu retten. Ein Quartett schwarzer Krimineller kapert sein Boot. Zwei von ihnen werden erschossen.
Den Überlebenden gibt Burke eine Chance: Im Laufe der etwas aufgemotzten Ermittlungen – am Rande mischt sogar Al Kaida mit – finden sie Gelegenheit zur Aussöhnung mit ihren Opfern. In der Krise erfährt Robicheaux, dass sogar Menschen ohne Chance sich ändern können. Denen allerdings, die das nicht tun und ihrem dunklen Stern folgen, geht es dreckig – Robicheaux sucht skrupulös nach Wahrheit, ein Weichei ist der Südstaatler nicht.
Burkes New Orleans-Roman appelliert als Momentaufnahme gegen die bösen Vorurteile des Tages. Greg Iles‚ Natchez Burning, das ebenfalls 2005 spielt, aber vierzig Jahre früher in den Kämpfen um die civil rights der Afroamerikaner einsetzt, geht den langfristigen Verwüstungen nach, die der Rassismus in den Seelen von Weißen und Schwarzen hinterlassen hat. In Natchez, Mississippi, scheint alles friedvoll und integriert. Der Bürgermeister ist weiß und liberal, der Staatsanwalt schwarz und ehrgeizig. Als jedoch eine schwarze Krankenschwester nach Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehrt und ihr Arzt, Bürgermeister Cages Vater, beschuldigt wird, ihr das Sterben erleichtert zu haben, werden die Schuldbücher aufgemacht. Während im Hintergrund Baulöwen, Politiker und Klans die endgültige soziale Vernichtung von New Orleans (das „Bordell von Stadt“) planen, wird Cages Liberalität auf die Probe gestellt: Gewalt, Familienbande und Natur sind in beiden Romanen elementare Energien, denen mit Phrasen allein nicht beizukommen ist.
James Lee Burke: Sturm über New Orleans
Aus dem Englischen von Georg Schmidt
Pendragon, 2015, 576 Seiten
Greg Iles: Natchez Burning
Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger
Rütten & Loening, 2015, 1007 Seiten
Unredigiertes Manuskript, Veröffentlichung im Die Zeit Nr. 14 vom 01.04.2015; bei auf der KrimiZEIT-Bestenliste 2015