Kannst Du angeben, welche Räume für Dich fiktionstauglich sind? Und welche eher nicht? Hängt das überhaupt von Räumen ab oder eher von der ersten Begegnung mit ihnen?
Es häng viel davon ab, dass ich diesen Räumen schon einmal begegnet bin (Oder es mir wenigstens einbilde), dass ich sie für mich glaubhaft aufladen kann, sodass sie hoffentlich auch dem Leser etwas sagen und er sich z.B. vorstellen kann, was jemand, der sein Auto mit Eimern am Rand einer Straße wäscht, möglicherweise denkt, was ihm wichtig ist oder worüber er sich ärgert.
Ich kann mir ohne Probleme eine Kletterei incl. Schießerei und einem Regen aus Glas, an der Fassade des Centre Pompidou in Paris ausdenken und das auch beschreiben. Nur wenn ich schon nicht viel dabei empfinde, wie soll ich dann hoffen, dass meine Leser das tun? Da meine Bücher davon handeln was ein Schüler im Bus denkt oder worüber sich jemand beim Waschen seines Autos ärgert, und nicht von internationalen Drogengeschäften, verrückt gewordenen Mönchen oder Sammlern von Körperteilen, sind für mich die Räume/Orte interessant, denen wir alle vermutlich schon einmal begegnet sind.
Ich habe mal (ca. 1995) einen kleinen Ort irgendwo in Mecklenburg Vorpommern besucht. An der Ortseinfahrt kurz vor dem Ortsschild gab es eine ganz neue Bushaltestelle. So eine mit einem Häuschen mit Scheiben. In diesem Häuschen standen etwa sieben Jugendliche, Jungen und Mädchen. Wir sind dann in den Ort gefahren und haben einen alten Konsumladen gesehen, der schon lange geschlossen war, eine Kirche, die halb verfallen war, daneben die Reste eines ehemaligen Jugendzentrums der Falken. Ein sehr malerischer Ort Michael Haneke hat einen ähnlichen in seinem Film Das weiße Band verwendet. Wir sind dann lange spazieren gegangen, haben sogar noch ein Picknick auf einer Wiese gemacht. Es wurde schon dunkel als wir zurückfuhren. Die Jugendlichen standen immer noch in ihrer Bushaltestelle. Sie hatten ein bisschen Bier getrunken.
Ein trauriges Bild? Eine Form von Verwahrlosung? Nun, das ist der Blick von außen. Ich bin selbst auf einem Dorf aufgewachsen. Wir haben auch viel in einem Automatencafé rumgehangen, weil wir da mit 16 schon Bier bekamen. So was muss gar nicht so schlecht sein, wie man im ersten Moment denkt. Wenn ich daraus eine Geschichte machen würde und es wäre nötig, dass es da einen See gibt, mit einem leicht elitären Ruderclub, dann würde ich den eben dazu erfinden. Warum? Weil gerade einer gesagt hat: „Die beim Ruderverein haben ganz billige Schlösser an ihren Schuppen.“ Dieser Satz ist die erste Begegnung mit einem See, einigen Schuppen, Booten, und vielleicht auch noch einem Mädchen, das ihnen dort begegnet.
Schreibe einen Kommentar