Lee Childs Janusmann kann man nicht aus der Hand legen
Zugegeben, es gibt Autoren, die mich süchtig machen. Lee Child ist einer von ihnen. Als ich Anfang des Jahres mit einer Grippe im Bett lag, fiel mir sein Janusmann erst dann aus den Händen, als Seite 478 umgeschlagen und der Fight gewonnen war. Am nächsten Tag besorgte ich mir die anderen sechs Bücher von ihm, die es auf deutsch gibt, und konnte erst wieder gesund werden, als ich sie alle durch hatte. Lee Child ist ein begnadeter Spannungsautor. Als Produzent von Fernsehfilmen hat er sich ein einzigartiges Gespür für Timing, Spannungsbögen und –aufbau erworben. Hinzu kommt ein ausbalanciertes Gefühl dafür, bis zu welchem Punkt man eine Geschichte zwirbeln kann, ohne dass sie ihre innere Glaubwürdigkeit verliert.
Ein Macho wie er im Buche steht
Und dann hat er noch Jack Reacher erfunden, einen Macho, wie er im Buche steht, Scharfschützenkönig der US Marines, Jazzliebhaber, rücksichtsvoll gegenüber den Frauen (sofern es sich nicht um bösartige handelt, doch selbst denen gibt er eine letzte Chance, üblen Typen nie). Der kleine Junge in mir träumt davon, zu sein wie er. Und wie ich durch Umfragen herausgefunden habe, geht es nicht nur Männern so; auch Frauen, die sonst lieber zu weniger Blutgetränktem greifen, sind von Jack Reacher fasziniert.
Wie Peter O’Donnells wunderbare Stories um Modesty Blaise leben auch Childs Reacherromane von Elementen des Comics: kantige Charaktere, bedeutungsvolle Accessoires, holzschnittartige Psychologie, eine Dramaturgie der entschiedenen Gesten und vor allem: nicht ein Wort zu viel. Es muss etwas Archaisches oder anderweitig sehr tief Liegendes sein, das in uns immer wieder nach Variationen der gleichen Geschichte verlangt.
Reacher kennt alle Arten des Tötens
Reacher war dreizehn Jahre Militärpolizist; das heißt: er kennt alle Arten des Tötens und der Gemeinheit. Schließlich war es seine Aufgabe, Verbrecher zu jagen, die zum Töten ausgebildet waren. Nach seiner Demobilisierung mit Ende des Kalten Krieges lebt er als Vagabund und nützt den Tag. Sind seine Kleider dreckig, kauft er sich neue, ist das Geld alle, jobbt er ein wenig. Etwa einmal im Jahr und oft durch äußeren Zwang oder durch eine Verpflichtung, die ihn einholt, wird er in einen Fall verwickelt. Im Janusmann läuft er etwa so: Reacher fingiert die Entführung eines reichen Muttersöhnchens, um eine Bande von wirklich üblen Großdealern anzulocken, an denen er sich schon seit zehn Jahren rächen will. Als sie das Elternhaus des Muttersöhnchens belagern, wird es ernst, Reacher ist verwundet, der letzte Verbündete entpuppt sich auch noch als Feind, Reacher schlägt sie alle und kauft neue Hosen.
Lee Child: Der Janusmann
Aus dem Englischen von Wulf Bergner
btb, 2005, 477 Seiten