Monika Geier und Matthias Wittekindt haben zweierlei gemeinsam:
Sie schreiben bemerkenswert normfrei Kriminalromane und beide sind studierte Architekten. 2018 bat ich sie, angeregt durch meine Fragen, etwas über ihr Verständis von Raum und Krimischreiben zu verfassen.
Anlässlich der Veröffentlichung der Brüder Fournier veröffentliche ich den Text von Matthias (der Beitrag von Monika Geier ist hier).
Die Brüder Fournier spielt in „Envie“, einem Ort, den der Autor in der Nähe von Brüssel angesiedelt hat, halb Dorf, halb Vorstadt aus den zwanziger Jahren, aus einer Bauernsiedlung entstanden, keineweges ländliche Idylle trotz ausgedehnter Felder und Weisen, in der Anflugschneise des Flughafens Brüssel, der jetzt coronabedingt Pleite gehen wird, wenn die Lufthansatochter Brussels Airlines nicht mit Staatsknete gerettet wird.
Envie – ein Idealplan
Topographie und Soziologie von „Envie“ sind für das Aufwachsen der Brüder Iason und Vincent Fournier von zentraler Bedeutung. Matthias Wittekindt hat mir erlaubt, die farbige Skizze zu veröffentlichen, die er sich für die Arbeit am Roman gezeichnet hat:
Tableaus, Konstellationen, Gefühle – von Matthias Wittekind
Fragen: Tobias Gohlis
Als Architekt sieht man Räume und Landschaften bewusster oder professioneller als andere Menschen. Wie beeinflusst diese Sichtweise – sei sie bewusst oder unbewusst – Dein Schreiben?
Man findet in guten Entwürfen häufig ein Gestaltungsprinzip, es könnte übersetzt lauten: Bauteile, die zu trennen sind, sind deutlich zu trennen. Ich gestalte meine Szenen, wenn möglich, als Tableaus. Es gibt einen Ort und es gibt die Figuren. Der Ort, sagen wir ein Parkplatz an der Autobahn, ist dann für drei oder vier Seiten die Bühne. Ich würde aber nicht unbedingt beginnen mit: Sie trafen sich an einem Autobahnparkplatz. Dann hätte ich die Figuren und den Ort bereits vermischt. Der Satz würde zwar recht natürlich wirken und sofort klarmachen, was los ist, besonders wirksam und lebensecht wäre es jedoch nicht.
Vielleicht erfahren wir zunächst nur, dass es laut ist, dass die Geräusche in Schüben kommen, dass manche es nicht schaffen vernünftig einzuparken und dass es nach Urin riecht. Lärm in Schüben bedeutet, dass die Figuren laut reden müssen. Sie mögen Wichtiges zu besprechen haben, sie mögen sehr verfeinerte Gedanken oder Verdachtsmomente austauschen. Doch alles an dem Ort spricht dagegen, dass sie das in Ruhe tun können. So kann der gestaltete Raum für sie zu einer Art Gegner oder Verbündetem werden. Und ich meine, das gelingt besonders dann, wenn man Ort und Figuren nicht verbindet. Man könnte in diesem Verfahren auch einen Verfremdungseffekt erkennen. Diese Verfremdung betrifft nicht das Gespräch, nicht das Denken und Wollen der Figuren, sondern nur das Bühnenbild. Indem die Architektur nicht sofort kenntlich gemacht wird, entblättert sich die Situation erst nach und nach. Das darf man allerdings nicht zu oft machen, sonst verwirrt man die Leser. Leider ist das so, ich ärgere mich da häufig.